Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
verblüffte ihn ihre plötzliche Zustimmung. Niemand machte sich etwas vor, wenn eine Dame allein, ohne weitere Gesellschaft, im Hause eines unverheirateten Herrn speiste. Selbst er hatte nie zuvor eine solche Einladung ausgesprochen, doch er zeigte seine Überraschung nicht. „Sehr wohl, dann also bis morgen Abend. Ich nehme an, die Adresse ist Ihnen bekannt?“
Stumm ob ihrer eigenen Verwegenheit nickte sie nur.
„Darf ich denn noch einen Blick auf das Gesicht hinter der Maske tun? Und Sie gewähren mir vielleicht auch sonst einen kleinen Vorgeschmack?“
Empört schreckte Clarissa davor zurück; nicht einmal für Ihre Schwester war sie dazu bereit. Aber immerhin hatte sie für heute ihr Ziel erreicht. „Meinen Namen will ich Ihnen nennen. Wexford, ich heiße Wexford. Doch mein Gesicht – dazu ist es morgen noch früh genug, außer Sie erwarten mehr als eine unbekannte Dame zum Dinner?“
Er lachte. Sie zeigte Galgenhumor, und sie war schneidig. „Nein, nur Sie. Also bis dahin.“ Ehe er ihr eine gute Nacht wünschen konnte, war sie davongeeilt.
Im Foyer löste Clarissa erleichtert die Maske, ohne zu bemerken, dass Lord Robert Alchester ihr unauffällig folgte. An der Tür erfuhr er von dem Lakaien gegen ein paar Münzen die Adresse, zu der der Mietkutscher die Dame bringen sollte.
3. KAPITEL
Wieder daheim ging Clarissa ohne Umwege hinauf in ihr Zimmer und legte sich schlafen, fand jedoch wenig Ruhe, denn sie träumte, dass sie sich einer leidenschaftlichen Gestalt in schwarzem Domino ergab, und erwachte erhitzt und wenig erfrischt. Während sie im Bett saß und ihre Morgenschokolade trank – der einzige Luxus, den sie sich gönnte, ehe sie sich dem Tag stellte –, versuchte sie die nebelhaften Traumfetzen abzuschütteln. Lord Rasenby, sagte sie sich streng, ist nicht der Mann, dem man sich ergeben sollte, nicht einmal im Traum. Aber das Bild seines kraftvollen, muskulösen Körpers, der sich an den ihren presste, und seine vor Leidenschaft heisere Stimme hafteten hartnäckig in ihrem Kopf.
Kit Trahern, Earl of Rasenby, war völlig anders, als sie erwartet hatte. Weder war sie auf eine solch starke Anziehungskraft gefasst gewesen, wie sie zwischen ihnen anscheinend pulsiert hatte, noch auf seine unverblümte Sprache. Durch Amelias Beschreibung war sie davon ausgegangen, einen weltgewandten Dandy zu treffen, doch er ähnelte in nichts den anderen Herren des ton . Seine Attraktion beruhte auf seiner Ausstrahlung, nicht auf den modischen Attributen des üblichen Stutzers. Er war ein athletischer, sehr maskuliner Mann von schlichtem, vornehmem Geschmack.
Wieder rief Clarissa sich zur Ordnung. Sie durfte das Äußere des Mannes nicht mit seiner inneren Einstellung verwechseln. Seine bittere Bemerkung, dass alle Frauen für die Gewährung ihrer Gunst entschädigt werden wollten, schien eine tief verwurzelte Überzeugung zu sein. Das konnte Clarissa sogar in gewisser Weise nachemp fi nden. Wenn sie an das Verhalten ihrer Schwester dachte, verstand sie Lord Rasenbys Zynismus voll und ganz und kämpfte gegen den unterschwelligen Drang, ihm das Gegenteil beweisen zu wollen. Nur die Erinnerung daran, dass sie sich Amelias Rettung verschrieben hatte, konnte ihr Interesse an ihm – als Mann, als aussichtsloser Fall, der errettet werden musste, oder was auch immer – dämpfen. Wenn er sie nämlich erst als hinterlistige Lügnerin entlarvte, würde er ihr niemals vergeben; die Bekanntschaft mit ihm konnte also nur von kurzer Dauer sein.
Trotzdem ließ sich der sehnsüchtige Wunsch nicht unterdrücken, ihm vielleicht während dieser kurzen Zeit beweisen zu können, dass es auch Frauen gab, die anders waren – nun, zumindest eine Frau.
Nach dem Frühstück begab Clarissa sich zu ihrer Mutter ins Wohnzimmer – Salon konnte man den kleinen Raum kaum nennen –, um den Speiseplan für die kommende Woche zusammenzustellen, eine ihr verhasste Aufgabe, da wegen Amelias anscheinend endloser Forderungen nach neuen Kleidern, Hüten und sonstigem Tand absolute Sparsamkeit regierte und meistenteils auf die schlichteste Hausmannskost zurückgegriffen werden musste. Erst nach einer geraumen Weile fi el ihr das seltsame Gebaren ihrer Mutter auf. Anstatt wie sonst schlaff auf der Chaiselonge zu ruhen, saß sie an dem zierlichen Sekretär und kritzelte eifrig in ein Notizbuch.
„Mama, was machst du da eigentlich? Kann ich dir helfen?“
Lady Maria zuckte zusammen und versuchte vergebens, unbekümmert zu erscheinen.
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