Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
einer Entführung gezittert und ihre Unschuld beteuert hatte. Niedergeschlagen wandte sie sich ab und ging schwerfällig zum Fenster. Wie hatte sie so dumm sein können? Wie wenig kannte sie offensichtlich sich selbst, ihre wahre Natur. Ein paar Stunden nur in Kits Gesellschaft und sie führte sich auf wie besessen. Wenn sie sich weiterhin derart schamlos verhielt, würde er ihrer allzu schnell leid werden und sich wieder Amelia zuwenden. Dann hatte sie sich völlig umsonst geopfert.
Während Clarissa ihre heiße Wange an das kühlende Glas drückte, begriff sie, dass sie sehr naiv gewesen war, als sie all diese Romanheldinnen so scharf verurteilte. Hier war sie nun selbst mit einem berüchtigten Verführer, und ehe man bis drei zählen konnte, war sie seinem gefährlichen Charme verfallen, ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden. Dumm! Ach, so dumm!
Und zu allem Über fl uss war sie auch noch mit offenen Augen in diese unmögliche, noch dazu selbst geschaffene Lage hineinmarschiert. Sie hatte ein Abenteuer erbeten. Und mit einem Abenteuer ging natürlich auch immer ein Überraschungsmoment einher. Warum hatte sie nicht von vornherein einkalkuliert, dass ein impulsiver Mensch wie Rasenby eine solche Herausforderung umgehend annehmen würde?
Was um Himmels willen sollte sie nun tun? Aufgeben und heimkehren? Er würde sie gehen lassen, das glaubte sie ihm trotz seines unvorteilhaften Rufes. Aber damit wäre ihr Versuch, Amelia zu retten, gescheitert, alles wäre vorbei. Und ich werde Kit nie wieder sehen. Niemals. Bei dem Gedanken tat sich ein Abgrund vor ihr auf. Nie wieder würden sie gemeinsam einen Spaß genießen, sich nie wieder geistig mit ihm messen, nie wieder sein Lächeln sehen, das so plötzlich aufblitzen konnte und seinem Gesicht den diabolischen Ausdruck nahm. Nie wieder würde sie seine Lippen kosten, seinen harten Körper spüren.
Hastig rief sie sich ins Bewusstsein, dass, auch wenn sie nicht vorhatte, weitere intime Annäherungen zu erlauben, ihr heißblütiges Alter Ego, das sie gerade in sich entdeckt hatte, dennoch nach diesen verbotenen Früchten gieren würde. Gewiss würden ein paar mehr Küsse sie nicht kompromittieren, ein paar weitere Stunden oder Tage mit ihm verbracht sie zufriedenstellen und dieses Feuer in ihr löschen. Wenn sie Kit besser kennenlernte, wäre sie sicher bald kuriert von ihrer unseligen Betörung. Wenn sie seine Gegenwart erst lange genug genossen hatte, sah sie ihn bestimmt in einem rationaleren Licht. Und natürlich käme das alles Amelia zugute.
Kit beobachtete sie, während sie aus dem Fenster schaute. Anstatt sie weiter zu bedrängen, ließ er ihr Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, obwohl er jetzt schon sicher war, dass sie letztendlich einwilligen würde. Nach einer Entführung stand ihm nicht der Sinn, aber er war überzeugt, dass eine solche Maßnahme ohnehin unnötig war.
Er schaute nach der Uhrzeit und zog an der Klingel, was sofort die Wirtin auf den Plan rief. „Wir möchten in zwanzig Minuten speisen. Und zuvor werden Sie so freundlich sein, uns Schreibzeug zu bringen … ah, und Wein, bitte.“
„Wie? Wir speisen?“ Clarissa fuhr aus ihrem Grübeln auf.
„Ja. Ich weiß, es ist noch ziemlich früh, doch vor uns liegt eine lange Reise. Eigentlich müssten Sie auch hungrig sein. Ich jedenfalls verschmachte fast.“
„Aber es ist doch kaum eine Stunde bis in die Stadt. Ich würde lieber noch warten, Kit.“
„Wir fahren nicht nach London zurück. Clarissa, ich hätte Ihnen mehr Grips zugetraut. Wenn Sie sich zu erinnern geruhen? Sie verlangten ein Abenteuer, und dazu höchste Geheimhaltung. Sie mögen in London nicht besonders bekannt sein, im Gegensatz zu mir. Wie können wir beide dort ein wie auch immer geartetes Verhältnis p fl egen, ohne dass alle Welt davon Notiz nimmt?“
„Ja, vermutlich … das heißt, ich hatte nicht gedacht …“
„Wahrhaftig? Das soll ich glauben? Aber nun, dann denken Sie eben jetzt. Wir kehren nicht nach London zurück, außer Sie möchten die Sache abblasen. Ansonsten werden wir jetzt dinieren. Also frage ich Sie zum letzten Mal, Clarissa: Wollen Sie Ihr Abenteuer?“ Inzwischen war er ihre Aus fl üchte leid. Wäre sie nicht so unsäglich verlockend, hätte er sie längst in den Wagen gesetzt und den Rückweg eingeschlagen. Aber er fand sie ganz außerordentlich verlockend und wünschte sich unbewusst, diese Affäre möge sich fortsetzen. „Nun?“
Ja. Ja, sie musste zustimmen, das war ihr klar. Aber
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