Ein Lord entdeckt die Liebe
kurzen Fahrt erreichten sie die Druckerei, wo Chloe in Windeseile alle Fragen klärte.
Gleich darauf saß sie wieder neben Braedon auf dem hohen Sitz des Phaetons und bewunderte die Aussicht auf Carlton House, die Residenz des Prinzregenten, das aufgrund des schnellen Tempos vorbeizufliegen schien. Ihre Augen blitzten mutwillig. Mit einer Hand hielt sie ihr Strohhütchen fest. „Ist das nicht wundervoll?“, rief sie begeistert.
Ein Blick auf das Gesicht des Marquess verriet ihr, dass er die Fahrt nicht ebenso genoss wie sie. Sie unterdrückte ein Seufzen und beschloss, die Hoffnung nicht aufzugeben. Sie saß dicht neben Lord Marland, der so groß und kräftig war, dass er deutlich mehr als die Hälfte der Bank für sich beanspruchte. Nun, sie hatte nichts dagegen einzuwenden, auch wenn sie so tat, als bemerke sie nicht, dass sein Oberschenkel den ihren beinahe berührte. Hin und wieder musste sie allerdings einen kurzen Blick auf seine großen glänzenden Schuhe werfen, neben denen ihre eigenen Schühchen so klein wie die eines Kindes wirkten.
Braedon sah gelangweilt drein und schwieg. Sogar, als ihre Schultern sich berührten, weil sie mit hoher Geschwindigkeit auf den Haymarket einbogen, sagte er keinen Ton. Chloe, die so sehr auf ein Gespräch gehofft hatte, gab sich alle Mühe, den Mut nicht zu verlieren. Hatte sie nicht vorhin noch erlebt, wie charmant er mit den Freundinnen seiner Schwester geplaudert hatte? Und hatte er ihr nicht am Vortag ein absolut hinreißendes Lächeln geschenkt?
Sie konnte nicht leugnen, dass dieses Lächeln sie zutiefst aufgewühlt hatte. Es hatte ihr eine unruhige Nacht beschert. Stundenlang hatte sie sich im Bett hin und her gewälzt und versucht, das wundervolle Gefühl festzuhalten, das sie erfüllt hatte, als er mit den Händen ihre Taille umfasste. Sie hatte so deutlich die Wärme gespürt, die sein Körper ausstrahlte. Und sie hatte sich so sehr danach gesehnt, in seinen Armen zu liegen.
Zusammen mit der Dunkelheit war am Morgen allerdings auch jede Romantik gewichen. Chloe hatte versucht, sich über die Rolle klarzuwerden, die sie in Marlands Leben spielte. Und da sie von Natur aus vernünftig war, hatte sie sich von ihren Träumen verabschiedet. Sie hatte sogar darüber nachgedacht, ob es klug gewesen war, seiner Bitte schließlich nachzugeben.
Nach einigem Abwägen war sie zu dem Schluss gekommen, dass sie das Versprechen, das sie sich selbst gegeben hatte, nicht gebrochen hatte, indem sie dem Marquess ihre Hilfe zusagte. Diese Erkenntnis hatte eine beruhigende Wirkung ausgeübt. So beruhigend, dass sie sie ein paar Mal im Stillen wiederholt hatte: Ich kann ihm helfen, ohne mir selbst untreu zu werden.
Vor einiger Zeit hatte sie sich vorgenommen, alles Mögliche auszuprobieren, um mehr über sich selbst herauszufinden. Sie hatte den Entschluss gefasst, das Leben mit allem, was es ihr zu bieten hatte, auszukosten. Das widersprach durchaus nicht der Absicht, den Marquess zu unterstützen. Oder? Der Gedanke ließ sie erröten. Für Hardwick war eine engere Beziehung zu Lord Marland nicht mehr gewesen als ein schöner, aber unerfüllbarer Traum. Allerdings war es zweifelhaft, ob das Gleiche auch für Chloe galt.
Abrupt fand sie in die Wirklichkeit zurück, als das zweite Ziel ihrer Fahrt auftauchte. „Dort ist es.“ Sie zeigte auf einen unauffälligen Laden, der zwischen einer kleinen Kaffeerösterei und einem Geschäft für Strümpfe eingeklemmt war. Noch konnten sie nicht aussteigen, denn ein Leiterwagen mit Säcken stand im Weg. Als dieser endlich um die nächste Ecke verschwunden war, brachte Marland die Pferde vor dem Laden zum Stehen, warf seinem Pferdeknecht die Zügel zu, sprang vom Sitz und half ihr beim Aussteigen.
Leider ließ er seine Hände keine Sekunde länger als nötig auf ihrer Taille liegen.
Enttäuscht warf Chloe ihm einen kurzen Blick zu. Dann sagte sie: „Bitte, überlassen Sie mir das Reden.“
Ah, das gefiel ihm nicht. Zum ersten Mal zeigte sein Gesicht etwas anderes als jenen unerträglich desinteressierten Ausdruck. Chloe verspürte ein Gefühl des Triumphs. So lange hatte sie sich bemüht, ihre Emotionen vor Marland zu verbergen. Geschah es ihm da nicht recht, dass jetzt er sich ein wenig Mühe geben musste, wenn er unbeteiligt wirken wollte? Offenbar wollte er ihr nicht zeigen, was in ihm vorging. Nun, sie konnte daraus eine wirklich schwierige Aufgabe für ihn machen!
„Darf ich fragen, warum?“, erkundigte er sich.
Einen Moment
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