Ein Lord mit besten Absichten
über Gillians Kleid aus feinem blauem Musselin und schenkte dabei der Rundung ihres Busens und der Silhouette ihrer langen Beine besondere Aufmerksamkeit. »Ja, dass sie zufrieden ist, kann man sehen. Und Appetit hat sie auch noch?«
»Ja, den hat sie meistens, auch bei einer Kolik. MacTavish – das ist unser Stallmeister – behauptet, dass sie uns nur etwas vorspielt, aber ich glaube, er kann Ophelia nicht gut leiden. Sobald er in der Nähe ist, schnappt sie nach ihm.«
Der Earl klatschte laut in die Hände und machte einen Satz nach hinten, als Ophelia mit einem Sprung auf die Beine kam. Dann reichte er Gillian die Hand.
»Der Stallmeister hat recht, Miss Leigh. Ihrem Pferd geht es gut. Kommen Sie bitte.«
Es dauerte zwar einige Zeit, doch schließlich konnte Weston Gillian davon überzeugen, dass ihre Stute gar nicht krank war, sondern sich nur einen Anfall von Selbstmitleid gönnte. Er geleitete Gillian ins Haus, führte sie den langen Flur entlang und schnurstracks zur Vordertür hinaus nach draußen.
Gillian starrte auf den rot-schwarzen Zweispänner, der vor dem Haus hielt.
»Ihre Tante hat Ihnen gestattet, gemeinsam mit mir eine Ausfahrt in den Park zu unternehmen. Ich nehme an, Sie haben nichts gegen frische Luft einzuwenden, schon gar nicht nachdem Sie in Gesellschaft der Hunde waren?«
»Nein, natürlich nicht. Doch auch wenn ich Ausflüge liebe, im Moment bin ich nicht passend dafür gekleidet, Mylord. Wenn Sie gestatten, ziehe ich mich nur rasch um.«
Weston musterte den ausgeblichenen blauen Musselin. »Sie sehen entzückend aus. Nun kommen Sie schon, meine Braunen haben sich lange genug die Beine in den Bauch gestanden.«
Obwohl die in den sanften Worten mitschwingende Autorität Gillian keinesfalls entging, akzeptierte sie seine Hand und ließ sich in den Phaeton helfen. Sie versuchte ein letztes Mal, ihre unpassende Kleidung als Einwand anzuführen. »Aber meine Haube.«
Der Earl nahm von seinem Pagen die Zügel entgegen und blickte sie kurz an. »Neigen Sie zu Sonnenbrand?«
Gillian machte ein zerknirschtes Gesicht. »Nein, ich bekomme nur Sommersprossen.«
»Dann brauchen Sie keinen Hut.« Als er mit einem Schnalzen die beiden herrlichen Braunen antrieb, hob sich Gillians Laune wieder. Der Schwarze Earl war gekommen, um
sie
zu sehen, um mit
ihr
eine Ausfahrt in den Park zu unternehmen. Und das auch noch am Nachmittag, wenn alle Welt auf den Beinen war und sie zusammen sehen würde.
Während Weston sein Gespann geschickt durch die vollen Straßen in Richtung Hyde Park lenkte, redete Gillian ohne Unterlass. Er hörte nur mit halbem Ohr zu, da er mehr über seine wachsende Faszination für Gillian nachdachte als über die Themen, die sie anschnitt, welche auch immer sie als Frau interessieren mochten.
»Ich habe keine Ahnung, warum in England jedermann glaubt, dass wir bei den Indianern leben, aber ich kann Ihnen versichern, dass dem nicht so ist. Obwohl ich mal die Gelegenheit hatte, mit einem sehr interessanten Indianer ein Gespräch über alte Zeiten zu führen. Dieser indianische Gentleman wohnte bei einem Kaufmann in unserer Straße. Er hat mir die Technik des Skalpierens erklärt und überdies versprochen, mir einen Skalp zu schenken, was er aber nie getan hat.« Für einen kurzen Moment klang Gillian enttäuscht. »Im Großen und Ganzen ist Boston aber eine sehr zivilisierte Stadt.«
Sie schien eine Antwort zu erwarten auf das, was sie gesagt hatte, also stimmte er ihr mit einem leisen Brummen zu, um sich dann weiter mit der Frage zu beschäftigen, warum zum Kuckuck er sich von ihr angezogen fühlte. Dass sie ihm nicht mehr aus dem Kopf ging, konnte nur Wahnsinn sein. Sie war doch einfach nur eine Frau. Hübsch, ja, lebhaft und unterhaltsam, zugegeben, aber hinter ihrer Naivität und guten Laune war sie doch das, was alle Frauen waren – manipulierend, intrigant und alles andere als vertrauenswürdig.
»Wissen Sie, eigentlich war es gar nicht mein Verdienst, dass der Mann gefasst und verurteilt wurde, Mylord. In Wahrheit war es reiner Zufall, dass ich mit ihm zusammenstieß, als er vom Juwelierladen floh, und natürlich war es nur ein Unfall, dass er sich bei unserem Zusammenstoß den Arm brach. Wie Sie sehen, hatte der Juwelier gar keinen Grund, mich als Heldin zu bezeichnen.«
»Natürlich«, antwortete Weston geistesabwesend und fuhr mit der Analyse seiner Gefühle fort. Wieso, in Anbetracht ihrer vielen Unzulänglichkeiten, fühlte er sich wie eine hohle Hülle aus Eis,
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