Ein Lord mit besten Absichten
nicht wahr? Sie müssen wirklich sehr schnell geritten sein, um vor uns hier einzutreffen.« Sie wedelte mahnend mit dem Finger vor seiner Nase herum.
Noble holte tief Luft. Zuweilen kam es ihm so vor, als wäre sein Leben eine französische Posse. »Dies ist mein Kammerdiener, meine Liebe, und nicht mein Kutscher Tremayne.«
Gillian blickte vom Kammerdiener zum Butler. »Drillinge? Waschechte Drillinge?«
Die beiden Männer nickten. Gillian biss sich auf die Lippe, um nicht loszulachen. Weston seufzte erneut und trat mit seiner Frau am Arm zu zwei Personen, die etwas abseits von den Angestellten standen.
»Das ist Rogerson, unser Hauslehrer. Und Nicholas, mein Sohn«, erklärte er.
Sie wirbelte zu ihm herum. »Ihr Sohn? Sie haben einen Sohn? Sie haben einen Sohn und es nicht für nötig gehalten, mir davon zu erzählen? Einen
Sohn
, Noble?«
Er verengte die Augen zu Schlitzen, als er beobachtete, wie ein Anflug von Überraschung, Erstaunen und schließlich Ärger über ihr Gesicht huschte. Sie blickte ihn aus gefährlich funkelnden Augen an. Er wollte gerade vorschlagen, ins Haus zu gehen und das Gespräch dort fortzusetzen, als sie sich ihm in die Arme warf und ihn auf die Stelle an seiner Lippe küsste, wo sie ihn während der Hochzeit versehentlich gebissen hatte. Gleich darauf war sie auch schon weg und umarmte seinen Sohn.
»Ist das die Möglichkeit? Ich habe einen Sohn und nicht einmal etwas davon gewusst«, jauchzte sie den neunjährigen Jungen mit piepsiger Stimme an. Seine Miene ließ dieselbe Verblüffung über die Wendung der Ereignisse erkennen wie die seines Vaters. »Du siehst genauso aus wie dein Vater. Die gleichen zauberhaften grauen Augen und schwarzen Wimpern. Und das gleiche Kinn. Ach, ich bin ja so glücklich! An nur einem Tag habe ich einen Ehemann und noch einen Sohn dazu bekommen!«
Sie nahm Nick am Arm und marschierte mit ihm Richtung Haus, wobei sie ohne Unterlass redete. Noble folgte ihnen leicht benommen und fragte sich, wann ihr wohl auffiel, dass der Junge nicht sprach.
»Bitte etwas Kaltes zum Abendessen, Mrs Hogue«, wies er die Haushälterin an. »Mrs Hogue wird Ihnen Ihre Zimmer zeigen, meine Liebe. Ich sehe Sie dann in einer Stunde in der Bibliothek. Nick, Rogerson, in mein Arbeitszimmer, bitte.«
Noble wartete, bis Gillian mit den beiden verdrießlich blickenden Hunden im Gefolge nach oben gegangen war, ehe er dem Jungen und dessen Lehrer ins Arbeitszimmer folgte. Er war fest davon ausgegangen, dass sein kranker Sohn seine Stiefmutter zurückweisen würde, aber bislang konnte er nichts als große Verblüffung im Gesicht des Jungen erkennen. Er hoffte, dass ihn sein Bauchgefühl nicht trog und Gillian genau das richtige Mittel war, um Nick in die Welt der Lebenden zurückzuholen.
Noble wusste nur allzu gut, welches Erlebnis seinem Sohn die Sprache geraubt hatte; und obwohl er sehr geduldig war und die Ratschläge der Ärzte beherzigte, weigerte sich der Junge nach wie vor zu sprechen. Da Noble seinerseits hohe Mauern gegen den Schmerz und Kummer einer unsäglichen Liebe errichtet hatte, war ihm bewusst, wie schwer es für Gillian sein würde, die Bollwerke des Jungen zu durchbrechen. Doch er war voller Hoffnung. Wenn es jemand schaffte, dann sie. Ohne seinen Sohn und den Lehrer zu beachten, starrte er aus dem Fenster und dachte über seine Frau nach. Die Art und Weise, wie sie unter
seinen
Bollwerken hindurchschlüpfte, bereitete ihm Unbehagen. Seine Absicht, sie für einen Monat hier auf dem Land zurückzulassen, während er in der Stadt seine geschäftlichen Angelegenheiten erledigte, schien ihm immer reizvoller, je mehr Zeit er mit ihr verbrachte. Sie könnte sich auf Nethercote einleben und in dieser Zeit mit ihrem Zauber seinen Sohn für sich gewinnen, während er weit fort von der Gefahr war, den ihre Unschuld und ihre lebhafte Art für ihn bedeuteten.
Er wandte sich dem Hauslehrer zu und bat um einen Bericht. Anschließend sprach er ausgiebig zu seinem Sohn darüber, welches Verhalten gegenüber seiner neuen Stiefmutter er von ihm erwartete, und fragte den Jungen, was er denn in letzter Zeit unternommen hatte. Nick zuckte bei jeder Frage die Achseln und sah seinen Vater mit unbeteiligter Miene an. Noble wusste den Blick nicht mit Sicherheit zu deuten, doch ihm war bewusst, dass es der gleiche unbewegte Gesichtsausdruck war, den er selbst in der Öffentlichkeit aufzusetzen pflegte. Rogerson jedoch verstand den Jungen und schickte – da ihm sowohl sein Schützling
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