Ein Lord mit besten Absichten
elendigen Köter. Nein, sie hat sich nichts bei dieser Dummheit gedacht; ihre Cousine wollte ihm vorgestellt werden, und du weißt ja, wie Gillian denkt – um so viele Ecken, dass es fast schon wieder geradlinig ist. Also brachte sie Lady Charlotte dazu, dem Mann einen Besuch abzustatten, unter dem fadenscheinigen Vorwand, ihn um eine Empfehlung ersuchen zu wollen. Aber jetzt ist der Mistkerl zu weit gegangen. Sieh nur, was er geschrieben hat.«
»Sehr gern, wenn du so lange stehenbleiben würdest, dass ich ihn auch lesen kann.«
Noble warf seinem Freund den Brief zu, als er wieder an ihm vorbeikam.
»Hmmm. Sie soll ihn also heute Abend auf der Gesellschaft der Gayfields treffen?«
»So steht es da. Natürlich wird Gillian nichts dergleichen tun. Darüber haben wir uns erst kürzlich unterhalten.«
Rosse konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Unterhaltung ausgesehen hatte. »Der Brief ist aber anonym. Bist du sicher, dass er von Carlisle stammt?«
Noble schnaubte, während er die eine Runde durchs Zimmer beendete und die nächste begann. »Natürlich bin ich sicher; wer sonst würde mir eine Nachricht schicken, in der er seine diebische Freude darüber äußert, dass Gillian sich heimlich und direkt unter meiner Nase mit ihm getroffen hat? Er will mich quälen, Harry, aber das lasse ich nicht zu.«
Rosse war sich nicht sicher, aber irgendwie stank die ganze Sache zum Himmel. Bisher hatten die Leute, die er zusätzlich beauftragt hatte, um der Sache auf den Grund zu gehen, nichts herausfinden können, was sein Bauchgefühl bestätigte, dass mehr dahintersteckte als nur McGregor. Trotzdem erzählte er Noble von seinem Verdacht.
»Du bist schon zu lange nicht mehr im Spionagegeschäft. Auf deine Nase ist wohl kein Verlass mehr«, meinte Noble.
Rosse zuckte die Schultern und nahm einen Schluck von dem exquisiten Brandy seines Freundes. »Schon möglich. Aber das glaube ich nicht.«
Darüber dachte Noble eine Weile nach; dann fiel sein Blick erneut auf die verfluchte Nachricht, und er konnte an nichts anderes mehr denken, als Genugtuung zu erhalten.
»Begleite Gillian heute Abend zu den Gayfields. Ich geselle mich dann später dort zu ihr.«
Rosse blickte in die schmalen grauen Augen seines Freundes, während er im Geiste schnell sämtliche Fakten zusammentrug und versuchte, Nobles Plan zu durchschauen. »Und wo wirst du bis dahin sein?«
»In deinem Schatten«, erklärte Noble grimmig.
Rosses blasse Augen blinzelten hinter den Gläsern seiner Brille; als ihm plötzlich die Erleuchtung kam, wurden sie ganz dunkel. »Aah. Ich glaube, ich verstehe. Du tust so, als ob du heute Abend unterwegs bist und McGregor die Bühne überlässt, damit er …«
»… versucht, meine Frau zu verführen, wonach ich in die Szene platze und den Mistkerl auf der Stelle erwürge.«
Ein Lächeln stahl sich auf Rosses Gesicht. »Und deine Frau?«
»Wird glauben, ich wäre ihr immer noch böse wegen heute Nachmittag.«
»Ist das nicht ziemlich hart für sie?«
Noble zupfte an seiner Unterlippe, ehe er seufzte. »Das lässt sich leider nicht vermeiden. Es wird ja nicht so lange dauern. Wichtig ist, dass McGregor glaubt, wir wären noch zerstritten und er hätte daher größere Chancen bei Gillian.«
Der Marquis wärmte seinen Brandy zwischen den Händen an und sog das Aroma ein. »Vertraust du ihr?«
Noble unterbrach seine Runde um den Schreibtisch. »Dass sie mich nicht mit McGregor betrügt? Ja, ich vertraue ihr. Ich habe …« Er hob den Pinsel vom Schreibtisch auf und ließ die Finger über die feinen schwarzen Härchen streichen. So weich sie auch waren, Gillians Haar war noch tausendmal seidiger. »Ich habe sie schlecht behandelt, Harry, und ich habe vor, es wiedergutzumachen, doch zuerst muss ich mich um diese ständigen Drohungen und Versuche, einen Keil zwischen uns zu treiben, kümmern.«
»Ich habe mich schon gefragt, ob du es mitbekommen hast«, bemerkte Rosse.
»Was mitbekommen?«
»Dass sich die Art der Drohungen verändert hat. Erst wollte man dich erpressen, dann deiner Frau etwas antun, und jetzt versucht man unverblümt, Misstrauen und Zwietracht zwischen euch zu stiften.«
Noble setzte sich unvermutet. »McGregor ist verrückt.«
»Möglicherweise. Aber ich glaube, es steckt noch mehr dahinter als nur McGregors Versuch, Elizabeth Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich glaube eher, dass jemand versucht, dich zu vernichten, persönlich wie auch gesellschaftlich.«
»Persönlich?«
»Ja, das ist
Weitere Kostenlose Bücher