Ein Lord mit besten Absichten
Sie das?«
»Das musste so kommen, wenn Sie, um die Geheimnisse aufzudecken, an der richtigen Stelle gesucht haben. Geheimnisse und Lügen habe ich Ihnen angekündigt, und Geheimnisse und Lügen haben Sie gefunden.«
Gillian sann einen Moment darüber nach. »Doch was ist Lüge und was ist Wahrheit?«
»Das müssen
Sie
herausfinden.« Der Alte legte seine rheumatischen Hände mit einem Klatschen ineinander und lehnte sich in die roten Kissen. »Ihr Herz weiß, was wahr und was falsch ist. Eine kluge Frau hört auf das, was ihr Herz ihr sagt.«
Gillian seufzte. »Aber das ist ja das Problem. Wenn ich auf mein Herz höre und versuche, seinem Rat zu folgen, gerate ich immer in Schwierigkeiten. Jetzt hat Noble Lord Carlisle sogar zum Duell herausgefordert, und das alles nur wegen meines Herzens, und ich muss ihn retten. Es ist gar nicht so leicht, eine Frau zu sein.«
Palmerston schnaubte und schloss die Augen. »Niemand hat behauptet, diese Reise würde einfach werden, Mädchen. Wenn ein einfaches Leben das ist, was Sie suchen, können Sie es haben. Sie müssen nur zugreifen.«
»Doch um welchen Preis?«, fragte Gillian leise. »Nobles Glück? Wenn das der Preis ist, setze ich die Reise lieber fort, auch wenn sie anstrengend ist. Er braucht mich, Palmerston, und ich habe nicht vor, ihn im Stich zu lassen, wenn er mich braucht.«
Der Alte gab keine Antwort. Gillian war nicht sicher, ob das seine Art war, das Gespräch für beendet zu erklären, oder ob er einfach eingeschlafen war. Immerhin war er uralt; also war es wahrscheinlich Letzteres. Sie tätschelte ihm freundlich die knorrige Hand und stahl sich davon.
Ein paar Minuten später fand sie ihre Cousine.
»Guten Abend, Tante, Onkel.«
Zwar begrüßte ihre Tante sie mit leichter Nervosität und Zögern, doch schien sie Charlotte den Umgang mit ihr nicht verboten zu haben. Gillian knickste vor ihrem Onkel, von dem sie einen frostigen Blick zur Antwort erhielt, und wandte sich dann eilig an Charlotte.
»Char, ich muss dich sprechen.«
»Später, Gilly. Mutter versucht gerade, mir zu einem Kennenlernen mit dem göttlichsten Viscount auf Erden zu verhelfen, und ich glaube, dass Lady Weatherby sich nun endlich eingesteht, dass ihre arme, schlichte Anne keine Chancen hat, und mich ihm vorstellt.«
»Das hier ist aber wichtiger als dein göttlicher Viscount.«
Charlotte starrte sie ungläubig an. »Ich habe große Zweifel, dass irgendetwas wichtiger sein könnte als ein göttlicher Viscount.« Sie öffnete ihren Fächer mit einem Ruck. »Es sei denn, es ist ein göttlicher Earl, Marquis oder Duke natürlich.«
»Hierbei geht es um einen Earl, und zwar den, den du noch vor wenigen Stunden so unverblümt angeschmachtet hast.«
»Lord Carlisle?«, fragte Charlotte.
»Genau der.«
Charlotte flüsterte ihrer Mutter ein paar Worte ins Ohr und folgte ihrer Cousine dann in eine diskretere Ecke.
»Nach dieser köstlichen Szene von heute Nachmittag hätte ich eigentlich erwartet, dass Lord Weston dir untersagt, Lord Carlisle je wiederzusehen.«
»Man kann es wohl kaum als köstlich bezeichnen, wenn sich der eigene Ehemann in Lebensgefahr befindet, Charlotte. Und untersagt hat er es mir tatsächlich, aber das ist im Moment ohne Belang, weil ich ihn einfach nur retten muss. Sieh mal, der hier kam vor ein paar Stunden.«
Sie reichte Charlotte den Brief, den sie erhalten hatte.
»Ach du meine Güte«, kommentierte Charlotte die wenigen Zeilen beim Lesen, wobei sie besorgt die Brauen zusammenzog. »Das wirst du doch wohl nicht tun, oder? Dich heimlich mit ihm treffen? Heute Abend?«
»Hier steht aber, dass er wichtige Neuigkeiten hat, die für unsere Nachforschungen von größter Bedeutung sind, Charlotte.«
»Tja, was die betrifft, bist du bei ihm ja nicht besonders weit gekommen, wie du dich vielleicht erinnerst.«
»Aber doch nur, weil Noble glaubt, dass
er
hinter dem Überfall steckt. Ich musste ihn von der Spur ablenken, und dazu muss ich ihn glauben machen, dass wir jemand anderen für den Drahtzieher dieses abscheulichen Verbrechens halten.«
»Aber ich dachte, dieser Meinung bist du wirklich.«
»Ich ja, aber Noble nicht, und wenn ich eins gelernt habe, liebe Cousine, dann wie wichtig es ist, nach allen Seiten offen zu sein. Nein, es ist ziemlich klar, was ich zu tun habe. Ich muss mich mit Lord Carlisle treffen, und das nicht nur, um zu erfahren, was er so überaus Wichtiges für mich hat, sondern auch – nicht dass es etwas nützen würde –, um ihn
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