Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Tobald, gesellte sich zu uns. Estibar musste bereits ins Freie gelangt sein und auf dem Weg nach Tulivar. Ich hatte ihm eingeschärft, nicht zurückzublicken. Wir wussten beide, dass seine Flucht sehr kurz sein könnte, wenn wir die Wachsoldaten würden überwältigen können und sich herausstellte, dass der Hetman unsere Pferde hiergelassen hatte. Dann würde einer von uns mit zwei Pferden Estibar hinterhereilen und beide würden dann Richtung Tulivar reiten. Ich glaubte nicht an so viel Glück. Die Tiere ließen sich gut als Packpferde verwenden, und der Hetman war auf Plünderungen aus. Er würde sie mitgenommen haben, dessen war ich mir recht sicher.
Ich sah mich noch einmal um. Nicht einmal die Hälfte der Gefangenen hatte es bisher aus der Höhle geschafft. Dann musste ich mich wieder auf den Gang konzentrieren. Ich hörte ein Schleifen und wusste sofort, dass da oben jemand sein Gehirn eingeschaltet hatte. Hin und wieder traf man auf solche Leute, und leider meist zum falschen Zeitpunkt.
Unsere Freunde hatten die große Holztür, die nach oben führte, aus den Angeln gerissen und trugen sie nun wie einen schweren Schild vor sich her. Zusammengerückt und geduckt gab es für meinen Freund Woldan so gut wie kein Ziel mehr. Er gab einen eher lustlosen Schuss auf einen vorwitzigen Fuß ab, der tatsächlich traf und für heftige Flüche sorgte, aber abgesehen davon, dass die Laune unserer Gegner noch schlechter wurde, veränderte sich dadurch nichts. Woldan wusste, wann seine Dienste als Schütze gebraucht wurden und wann nicht. Er legte den Bogen betont langsam zur Seite, hob sein Schwert und stellte sich neben uns drei.
Da die Gebirgskrieger sich kaum trauten, über den Rand des Schildes zu lugen, kamen sie nur langsam voran. Als sie merkten, dass keine Pfeile mehr in ihre Richtung zischten, wurden sie mutiger. Dann hatten sie uns ohnehin fast erreicht. Anstatt mit dem Schild voran auf uns zuzustürmen, ließen sie den Schutz einfach fallen und trampelten darüber.
Unsere Klingen erwarteten sie. Elf Mann, noch im engen Gang, also nicht mehr als zwei nebeneinander. Sie hätten uns mit dem Schild in die offene Höhle drücken können, aber so weit hatten sie dann doch nicht gedacht. Ich war dankbar dafür.
Es entbrannte ein intensiver Kampf. Und meine Arroganz erwies sich als begründet. Es war ein Unterschied, ob man als Krieger eines Bergvolkes herumlief und hin und wieder die eigenen Verwandten oder arme Talbewohner abschlachtete oder ob man fast zehn Jahre lang einen Feldzug gegen ausgezeichnet ausgebildete und ausgerüstete Gegner führte, die exakt wussten, was sie wollten. Dazwischen lagen Welten. Sicher, die Klingen waren auf beiden Seiten tödlich, aber letztlich kannten wir Tricks und Finten, die den eher tumb drauflos hackenden Gebirgskämpfern niemals in den Sinn gekommen wären. Dazu kam, dass unsere Schwerter etwas kürzer waren als die mächtigen Waffen der Opponenten. In der Enge des Gangs konnten wir fixer zustechen, austeilen, ausweichen und die eigene Klinge aus den Brustkörben des Feindes ziehen, ohne zu aufwendiger Gymnastik gezwungen zu sein.
Vier Feinde lagen blutend vor uns, als derjenige mit Gehirn – der seine Intelligenz dadurch unter Beweis gestellt hatte, hinten zu bleiben und aufmunternd zu grölen – die Problematik erkannte und Befehle in der Sprache des Bergvolkes gab. Die Angriffe ließen nach. Derweil mussten die Bewacher auch mitbekommen haben, dass sich ein Strom ihrer Gefangenen irgendwohin verkrümelte. In der Zwischenzeit hatten alle bis auf etwa 20 Nachzügler die Höhle verlassen. Auch für uns war es besser, wenn die Angriffe nachließen. Ich blickte über meine Schulter, erkannte, wie die letzten Flüchtlinge hinter der Wand verschwanden, und gab das Signal.
Mit einer abrupten Bewegung lösten wir uns von unseren aktuellen Gegnern und rannten los. Etwas überrumpelt stolperten die Bergkrieger in die Höhle. Wir wussten genau, wohin es ging, und in kürzester Zeit waren wir in der Felsspalte verschwunden. Nach wenigen Sekunden hatten wir die noch durch den Gang wandernden Flüchtlinge erreicht, drehten uns in der Dunkelheit um und hoben unsere Klingen, in der Erwartung, dass die Feinde uns nacheilen würden.
Was sie nicht taten.
»Der Intelligente meint, wir kämen oben in der Nähe heraus«, meinte Woldan. »Er wird anfangen, uns oben zu suchen.«
»Das ist so intelligent nicht. Er hat nur noch sechs Mann zur Verfügung, gegen über einhundert befreite und
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