Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Flüchtlinge aus Felsdom waren noch nicht eingetroffen, und ich erwartete auch nicht, dass sie heute kommen würden. Der alte Mann auf dem klapprigen Gaul kam mir schon aus der Ferne bekannt vor. Als ich vor dem müden Pferd und seinem Reiter stand, erkannte ich zu meinem großen Erstaunen den Dorfschulzen Gerik aus dem Schwesterdorf Floßheims drüben im Gebiet des Grafen zu Bell. Er setzte ächzend ab, klopfte sich den Staub aus den Kleidern und sah mich anklagend an. Derweil hatten sich Selur und Woldan zu mir gesellt. Wir begrüßten den Mann, und obgleich wir ihn zum Frühstück einluden, winkte er ab. Ihm brannte offensichtlich etwas auf der Seele.
»Ihr bekommt Probleme, Baron zu Tulivar!«, sagte er unumwunden und sah mich an. »In meinem Dorf sind vor ein paar Tagen Söldner eingetroffen. Eine ganze Schar, gut einhundert Mann, geführt von einem Adligen, dessen Name ich nicht erfahren konnte. Sie wollen offenbar nach Tulivar. Sie haben Gespräche mit Lorik geführt. Ich bin mir sicher, dass sie mir auf den Fersen sind. Ich habe das einzige Pferd gesattelt, das mir zur Verfügung stand, und bin sofort losgeritten. Die Söldner sind fast alle Fußsoldaten, aber sie sehen kräftig aus. Habt Ihr Söldner bestellt?«
Die letzte Frage erklärte, warum Gerik diesen anklagenden Blick aufgesetzt hatte. Er war nicht der Ansicht, dass mein Problem aus den Söldnern bestand, sondern vielmehr, dass ich eines bekommen würde, wenn ich Söldner anheuern und hier frei herumwandern lassen würde. Ich hob abwehrend meine Hände.
»Ich habe keinerlei Verwendung für Söldner. Tatsächlich habe ich die Ankunft dieser Männer befürchtet. Es ist viel passiert in den letzten Tagen.«
»Es sind also Eure Feinde, Baron?«
»Das steht zu befürchten.«
»Das beruhigt mich nicht.«
»Mich noch weniger.«
Wir konnten Gerik schließlich dazu bewegen, zusammen mit uns zu frühstücken. Ich hatte mich schon auf der Rückreise nach Tulivar gedanklich auf das vorbereitet, was jetzt geschehen war, und doch war ich erschrocken . Die stille Hoffnung, dass meine größte Befürchtung sich letztlich als gegenstandslos erweisen würde, war dahin. Ich blickte in die Gesichter meiner Gefährten. Einhundert Söldner waren für das kleine Tulivar eine ernsthafte Bedrohung, vor allem, wenn wir letztlich nichts anderes zur Verteidigung hatten als den alten Turm.
»Eine Miliz, Hauptmann«, murmelte Selur leise. »Wir hätten sofort eine Miliz aufstellen sollen!«
Ich nickte. »Mag sein. Aber selbst wenn das meine erste Tat nach unserer Ankunft gewesen wäre und selbst wenn wir seitdem ununterbrochen trainiert hätten – es wäre ein kläglicher Haufen geworden. Woher kommen Söldner denn heutzutage, Selur?«
Mein Freund zuckte mit den Achseln. »Ich weiß schon. Es müssen Veteranen des Krieges sein, entlassen aus den Diensten des Imperators, genauso wie wir. Sie durchziehen das Land auf der Suche nach Brot und Unterkunft und bieten die Arbeit an, die sie am besten beherrschen. Klingen sind zur Zeit preiswert.«
»Wir hätten genauso enden können«, erinnerte uns Woldan. »Als man dem Hauptmann die Würde eines Herzogs verweigerte und es so aussah, als bekäme er gar nichts außer ein paar warmen Worten – was hätten wir getan? Einige von uns wären in die Heimat zurückgegangen, wie es ja auch passiert ist. Aber warum sind wir dem Hauptmann nach Tulivar gefolgt? Weil wir keine bessere Alternative hatten. Jetzt sind wir die Männer des Barons und unser Gewissen ist rein. Aber das ist Luxus.«
»Woldan hat in allem recht«, bestätigte ich. »Diese Söldner werden unsere alten Kameraden sein. Vielleicht kennen wir sogar welche von ihnen. Wir stecken in mehrfacher Hinsicht in der Klemme.«
Selur machte eine verächtliche Handbewegung. »Sie haben das Gold ihres Auftraggebers genommen, niemand hat sie dazu gezwungen. Wir schulden ihnen nichts.«
Ich war mir nicht sicher, ob das so einfach sein würde. Als Erstes entsandte ich Späher in Richtung Süden. Als Zweites beraumte ich ein Treffen mit dem Kastellan und dem Bürgermeister an, um über die Optionen zu sprechen. Beide waren über den Anlass unserer Besprechung wenig erbaut, denn obgleich sie es nicht sagten, war ihnen der Vorwurf ins Gesicht geschrieben. Ich beschloss, das Ungesagte auszusprechen.
»Ich weiß, was Sie denken.« Mott und Frederick sahen sich vielsagend an. »Sie gehen davon aus, dass all dies nicht passiert wäre, wenn mit mir nicht so ein lästiger neuer Baron
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