Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
fleißigsten und schnellsten Arbeiter, die mir zur Verfügung standen – und sie wurde anschließend anständig geweißt. Auch der Weg von der Stadt zum Hügel mit dem Turm wurde ausgebessert, zuletzt sogar mit richtigen Pflastersteinen. Man konnte sagen, dass Tulivar zwei Monate lang in hektische Aktivität verfiel. Mott selbst war höchst erstaunt über das Ausmaß der Arbeiten. Dazu kamen noch die Renovierungsarbeiten, die von den Neubürgern aus Felsdom sowie den Rückkehrern durchgeführt wurden. Überall wurde gehämmert und geschuftet. Es war ein schönes Bild, dessen größter Makel jedoch war, dass es verdeckte, wie dieser plötzliche Aufschwung zustande kam: Er wurde finanziell vom Plündergut gespeist, das ich hierher mitgebracht hatte, und mein Budget zeigte in zunehmendem Maße seine Begrenzungen. Selbst die Fronarbeit kostete mich Geld, denn ich musste ja die Arbeitsmaterialien aufbringen, und der Betreiber des kleinen Steinbruchs in der Nähe der Stadt zeigte wenig Willen, mir seine Steine, den Kies und die Produkte seiner Lehmgrube aus freundschaftlicher Zuneigung kostenlos zu überlassen.
Dann, etwa drei Wochen nach der Sommersonnenwende, war der Zeitpunkt des großen Festes gekommen. Damit verbunden war neben einer großen Eröffnungsrede meinerseits die Abhaltung von allerlei Wettkämpfen, ein permanenter Markt, Belustigungen für Kinder sowie ein großes Festessen, zu dem ich eingeladen hatte. Die Anwerbeaktionen in Bell waren erfolgreich verlaufen: Insgesamt waren neben den mittlerweile etwa 700 Bewohnern Tulivars noch 200 geladene Gäste sowie etwa 100 weitere Besucher aus Bell zugegen. Obgleich Stadt und Land immer noch einen heruntergekommenen Eindruck machten und die Begrüßung der Reisenden in Floßheim nur deswegen keine Katastrophe wurde, weil ich Selur und den Kastellan für einige Tage dorthin geschickt hatte, um die Sache im Auge zu behalten, schien die Stimmung gut zu sein.
Traditioneller Bestandteil eines solchen Markttages war eine spezielle Belustigung mit durchaus ernstem Hintergrund. Es war meine Pflicht als Baron, öffentlich Gericht zu halten. Es war sicher diese Mischung aus Ernsthaftigkeit, echten menschlichen Schicksalen (und Abgründen) und dem wohlig-schaurigen Gefühl, wenn eine Strafe ausgesprochen wurde, die die Begeisterung des Publikums anstachelte. Dazu kam, dass der Kastellan zwar in der Vergangenheit zur Rechtsprechung befugt gewesen war, dieses Recht aber nur selten in Anspruch genommen hatte. Frederick hatte viele Qualitäten, doch den Codex des Imperiums kannte er nicht, sodass er nur solche Fälle verhandelt hatte, in denen alle von einem gewissen Gewohnheitsrecht Gebrauch machten. Schwierige Delikte waren ordnungsgemäß nach Bell gemeldet und dort geflissentlich ignoriert worden. Und so waren viele Straftaten nicht gesühnt worden.
Meine Männer aber hatten bei der Renovierung des Verwaltungsgebäudes zwei unbenutzte Kerkerzellen entdeckt. Und es hatte nicht lange gedauert, nur wenige Wochen nächtlicher Patrouillen und Wachdienste, um die beiden Zellen mit einigen der weniger respektablen Bürger Tulivars zu füllen, über deren Schicksal ich nunmehr in aller Öffentlichkeit zu entscheiden hatte.
Der erste Tag des auf drei Tage angelegten Festes verlief problemlos. Die Bewohner der Stadt waren aus einem tiefen Schlummer erwacht und stürzten sich nahezu in die Vergnügungen, so bescheiden sie für den Besucher von außen auch anmuten mochten. Viele machten sich selbst große Mühe, ihre Talente zu zeigen. Wir hatten eine Bühne aufgebaut, auf der jeder, der es wollte, etwas zum Besten geben konnte. Anfangs trauten sich die meisten nicht, aber der hier übliche kräftige Schnaps sowie Bier und Wein lösten eventuelle Hemmungen. Dies trug zwar nicht notwendigerweise zur Qualität der Darbietungen bei, aber die Leute hatten ihren Spaß, und genau das hatte ich bezweckt.
Am zweiten Tag musste ich dann Gericht halten. Ich saß auf dem Marktplatz auf einer kleinen Empore, auf der man einen alten Sessel abgestellt hatte. Vier meiner Männer in voller Rüstung standen Wache, um dem Vorgang staatliche Autorität zu verleihen. Ich hatte Selur zum Ankläger ernannt, da er über die besten rhetorischen Fähigkeiten aller meiner Männer verfügte – und über die notwendige Gnadenlosigkeit. Nach imperialem Recht durfte sich jeder Angeklagte von einem Bürger seiner Wahl verteidigen lassen. In den großen Städten gab es Advokaten, die ihren Lebensunterhalt damit
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