Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
gesetzt hatte. Die Anzahl würde sich nur dort signifikant verringern, wo er sich mit gleich gesinnten Jünglingen verlustiert hatte. Das war, wie sich zeigte, in der konservativen Provinz weitaus schwieriger.
Nun aber war Selur, ob er nun wollte oder nicht, sesshaft geworden. Natürlich konnte er seine Sachen packen und Tulivar verlassen, aber er wusste so gut wie ich, dass seine Loyalität dies nicht erlauben würde. Und was sollte dann aus ihm werden? Trotz all seiner großen Qualitäten war er ein sprunghafter, flatteriger Typ, der sich wie ein Blatt im Wind treiben ließ. Er war nicht zuletzt deswegen so ein treuer Freund geworden, weil er wusste, dass ich jemand war, der seinem unsteten Lebenswandel etwas Ordnung und Richtung zu geben verstand. So würde er bleiben. Und wenn er blieb, dann würde er lernen müssen, die Konsequenzen seines Tuns zu tragen, und zwar auf lange Zeit hin.
Schließlich fand er die drei Frauen, bei denen eine große Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie diejenigen welchen waren. Alle zeigten sich erstaunt über die plötzliche Fürsorge, hatten sie doch nicht mit derlei gerechnet und sich damit abgefunden, die Bastarde alleine versorgen zu müssen. Selur machte das Beste aus der Situation, und letztlich stellte er sich dabei gar nicht übel an. Ich ließ ihm eine Babykrippe bauen, und sei es nur, um ihn zu ärgern. Er würde dann entscheiden müssen, wer sie bekam.
Sein Problem.
Sobald das Reisen wieder möglich war, als der Schnee weitgehend dahingeschmolzen und die Straßen wieder passierbar waren, verabschiedete ich mich von meiner Verlobten, dem Kastellan und meinen Männern und ritt alleine nach Floßheim. Ich tat dies nicht nur, um zu sehen, wie das Dorf den Winter überstanden hatte, sondern auch, um Woldan davon in Kenntnis zu setzen, dass wir eine mehrwöchige Reise antreten würden.
Floßheim hatte sich durchaus verändert, wie ich fand. Ich weiß nicht, ob die Wahl Woldans zum Dorfschulzen alleine dafür verantwortlich war oder ob es damit zu tun hatte, dass die störrischen Bewohner endlich eingesehen hatten, dass sie ohnehin nichts gegen den doch sehr sanften Wandel ausrichten konnten, den ich eingeleitet hatte. Woldan zeigte sich erfreut – und ein wenig überrascht – über meinen Besuch und lud mich in sein Haus ein, das er, wie ich wiederum zu meiner Freude feststellen durfte, nicht mehr alleine bewohnte. Ich war nicht überrascht, als ich erfuhr, dass mein alter Freund, der seine erste Familie in den Wirren des Krieges verloren hatte, offenbar dabei war, sich gleich in eine neue einzuheiraten. Er stellte mir jedenfalls mit Frida eine Witwe in etwa seinem Alter vor, deren Mann niemals mehr aus dem Krieg zurückkehren würde. Drei Kinder, eines fast erwachsen, tummelten sich ebenfalls im Haus und es war, als wäre Woldan auf dem besten Weg, einen sehr alten Schmerz endlich heilen zu lassen.
Es tat mir fast leid, ihn aus dieser Idylle reißen zu müssen, um einen schmierigen Gauner in einer weit entfernten Stadt aufsuchen, dem ich ein Geschäft vorschlagen wollte.
Es half auch nicht, dass dieser Gauner Woldans Bruder war.
Als ich ihm meine Pläne enthüllt hatte – genauso wie die Geschichte von Nejas Auftauchen –, sah er mich halb verblüfft, halb verärgert an.
»Du willst ernsthaft mit Goran reden, Hauptmann?«, vergewisserte er sich. »Goran ist nicht nur ein einfacher Gauner, er hat seine dreckigen Finger in jedem Kriegsgewinnler-Geschäft der letzten zehn Jahre! Er ist widerlich! Als ich ihn das letzte Mal getroffen habe, dann mit der rechten Faust auf seinem linken Auge. Es ist übel angeschwollen und wenn es nach mir geht, dann ist es ihm abgefault und im Schädel verrottet. Das ist sechs Jahre her, Hauptmann, und ich habe kein Bedürfnis, ihn wiederzusehen.«
»Wenn sein Auge verfault ist, dann wird das wohl auf Gegenseitigkeit beruhen«, kommentierte Frida, eine etwas pummelige Frau mit einem sonnigen Lächeln, auf recht pragmatische Art und goss uns noch etwas Tee ein.
»Muss das sein, Hauptmann?«, hakte Woldan noch einmal mit etwas quengeligem Tonfall nach.
»Es ist der beste Weg. Und bei alledem darfst du eines nicht vergessen: Er ist dein Bruder. Wir haben damit einen Zugang, den andere nicht haben.«
»Ich will diesen Zugang gar nicht!«
»Ich brauche ihn. Wenn er immer noch in Skoberg residiert, dann ist das binnen zwei Wochen von hier zu erreichen, wenn wir schnell reiten und Ersatzpferde mitnehmen. Ich habe alles vorbereitet, wir
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