Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Frage beantworten zu können, Baron«, fing sie an. »Bereits vor Jahrzehnten war Felsgard nicht mehr als eine Geschichte. Das letzte Mal, als jemand von sich behauptet hatte, die Stadt gesehen zu haben, muss gut hundert Jahre her gewesen sein. Jedenfalls sagt das Land, dass es einst eine Stadt an der Nordspitze gegeben habe, noch nördlich der Berge, eine wohlhabende Handelsstadt, reich geworden durch Walfang und Fischerei und als Winterhafen für die Nordroute. Dann hat es wohl einen Krieg gegeben, manche sagen, es sei ein Bürgerkrieg gewesen. Das war lange vor dem großen Kräftemessen, welches dein Imperium an den Rand des Abgrunds getrieben hat, Baron.«
»Felsgard gehörte also auch nie zum Imperium?«, vergewisserte ich mich.
»Ich denke nicht. Jedenfalls ging die Stadt unter, schon vor langer Zeit. Seitdem haben wir selbst hier in Tulivar nichts mehr von ihr gehört. Ob sie nun wiedererstarkt ist oder ob die Söldner, von denen der Bergkrieger sprach, nur im alten Felsgard angelandet sind, um weiter gen Süden zu reisen, das weiß ich nicht.«
Ich strich mir nachdenklich über die Schnurrhaare, ein durchaus angenehmes Gefühl, das mir beim Grübeln sehr half.
»Das alles ändert erst einmal an unserer Situation nichts. 200 Söldner und 400 Bergkrieger machen eine ordentliche Streitmacht, gegen die Throcius auch nur mit Mühe wird bestehen können, wenn er sein Kastell bis dahin fertig hat. Ich werde ihm helfen müssen. Doch selbst wenn ich jeden wirklich kampffähigen Mann aufbiete, den ich in Tulivar rekrutieren kann, bringe ich nicht mehr als 80 oder bestenfalls 100 Kämpfer mit. Und es würde heißen, alles in die Waagschale zu werfen; das würde bei einer Niederlage fatale Konsequenzen haben.« Ich hörte mir zu und stellte fest, dass ich mit jedem Wort ein wenig mutloser klang.
»Ich habe aber keine andere Wahl. Sobald ich in meinen Körper zurückgekehrt bin, rufe ich die Männer zusammen. Ich muss sogleich aufbrechen.« Ich hielt inne und sah Neja an, die meinem Monolog schweigend gefolgt war. Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte ich sie: »Wie kann mir das Land helfen, Sprecherin?«
Neja seufzte. »Ich habe befürchtet, dass du mir diese Frage stellst, Baron.«
»Wir haben den Bund besiegelt«, erinnerte ich sie an den wilden Tiersex.
Sie sah mich halb vorwurfsvoll, halb amüsiert an. »Ich erinnere mich.«
»Also?«, ließ ich nicht locker.
»Ich muss mich beraten. Ich kann solche Entscheidungen nicht alleine treffen. Wir hatten hier seit Hunderten von Jahren keinen Krieg mehr. Euer großer Kampf ist nie so weit in den Norden gekommen und Tulivar war nie interessant genug für anderweitige Eroberungsfeldzüge. Wir sind in diesen Dingen etwas … ungeübt.«
Ich nickte. »So was passiert aber, wenn man sich von einem Baron bumsen lässt, der ein paar Gegner hat, die ihn gerne beseitigen wollen.«
Nejas Blick wurde noch ein wenig vorwurfsvoller. »Du solltest die Besiegelung des Bundes nicht herabwürdigen, Baron. Der Akt der Vereinigung war nur der offensichtliche Teil davon.«
»Ziemlich offensichtlicher Teil.«
»Ich werde mich beraten. Tu du, was du für richtig hältst.«
»Die Idee mit dem Gold kam von dir.«
Nejas Gesicht verzog sich, als hätte sie auf etwas sehr Saures gebissen. »Ich erinnere mich.«
Ich grinste und nickte ihr zu. »Schön, dass wir uns nun gegenseitig unserer Verpflichtungen gewahr sind«, meinte ich dann. »Ich werde nun in meinen Körper zurückkehren und höre dann von dir.«
»So sei es.«
»Schöne Grüße an Loka. Wird er sich an das erinnern, was ich mit seinem Körper angestellt habe?«
»In groben Zügen.«
»Er wird sich freuen. So leicht kommt er bei dir sicher sonst nicht ans Fell.«
»Es ist Zeit für dich zu gehen.«
Ich beschloss, die Geduld der Sprecherin nicht weiter auf die Probe zu stellen und schloss die Augen. Neja hatte mir ein Wort genannt, das ich konzentriert dreimal hintereinander zu denken hätte, dann würde ich sofort wieder in meinen Körper zurückkehren. Ich tat es und fühlte unmittelbar wieder das gleiche, seltsame Gefühl des Übergangs, zeitlos wohl, aber mit einem endlos erscheinenden individuellen Empfinden der Zeit, aber ohne dem Ereignisse oder Erlebnisse zuordnen zu können. Für einen Moment war es so, als würde mich ein anderes Bewusstsein streifen, ein wilderes, jüngeres, Loka vielleicht, der in seinen Körper zurückkehrte, von woher auch immer.
Dann schlug ich die Augen auf, sah ihn das
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