Ein Lotterie-Loos
Nachrichten zu erlangen suchen. Wenn wir auch diese Woche ohne eine Meldung über den »Viken« oder einen Brief von Ole bleiben, werde ich nach Christiania zurückkehren, mich an das Seeamt wenden, welches umfassende Nachforschungen anstellen und – das bin ich überzeugt – damit Erfolge erzielen wird, die uns gewiß Alle befriedigen.«
Wie große Zuversicht der Professor auch zeigte, fühlten Hulda und Joël doch heraus, daß er nicht mehr so sprach, wie vor Empfang dieses Briefes aus Bergen – eines Briefes, dessen Inhalt ihnen in der That nur wenig Hoffnung übrig ließ. Sylvius Hog wagte augenblicklich nicht mehr, eine Anspielung auf Huldas in nächster Zeit bevorstehende Hochzeit zu machen, wenn er auch mit eindringlichem Tone wiederholte:
»Nein, es ist ja gar nicht möglich! Ole – und nicht mehr in das Haus der Frau Hansen zurückkehren! Ole sollte seine Hulda nicht heiraten! Nein, an ein solches Unglück glaub’ ich mein Lebtag nicht!«
Das war freilich nur seine persönliche Ueberzeugung, die er aus der Energie seines Charakters, aus seiner angeborenen Natur, welche sich durch nichts ganz niederdrücken ließ, schöpfte. Doch wie hätte er diese auch auf Andere zu übertragen vermocht, und vorzüglich auf diejenigen, denen das Schicksal des »Viken« am meisten am Herzen lag?
Inzwischen verstrichen noch einige Tage. Vollkommen geheilt, unternahm Sylvius Hog nun weitere Spaziergänge in der Umgebung, wobei er Hulda und deren Bruder freundlich nöthigte, ihn zu begleiten, nur um die Geschwister sich nicht allein zu überlassen. Eines Tages gingen alle Drei das Vestfjorddal halb bis zu den Fällen des Rjukan hinauf; am folgenden Tage machten sie den Weg abwärts, wandten sich aber dabei nach Moel und dem Tinn-See zu. Einmal blieben sie sogar über vierundzwanzig Stunden lang aus, weil sie ihren Ausflug bis Bamble ausgedehnt hatten, wo der Professor die Bekanntschaft des Pächters Helmboë und seiner Tochter Sigrid machte. Welch herzlichen Empfang bereitete da letztere ihrer Hulda, und wie aufrichtig bemühte sie sich, die Freundin zu trösten.
Sylvius Hog konnte den theilnehmenden Leuten hier auch etwas mehr Hoffnung machen; er hatte an das Seeamt nach Christiania geschrieben. Die Regierung hatte die Aufsuchung des »Viken« in die Hand genommen, der bestimmt aufgefunden werden würde; auch Ole würde wieder kommen, er konnte von einem Tage zum andern eintreffen. O nein, die Hochzeit würde gewiß um keine sechs Wochen Aufschub erleiden! Der vortreffliche Mann schien so unerschütterlich überzeugt, daß man sich vielleicht mehr dieser felsenfesten Ueberzeugung als seinen Beweisgründen beugte.
Der Besuch bei der Familie Helmbon erwies sich als recht wohlthätig für die Kinder der Frau Hansen, denn als sie nach Hause zurückkehrten, waren sie weit gefaßter als beim Fortgehen.
Der 15. Juni war herangekommen. Der »Viken« hatte jetzt schon einen vollen Monat Verzögerung. Da es sich ja nur um die verhältnißmäßig kurze Ueberfahrt von Neufundland nach der Küste von Norwegen handelte, so überschritt das – selbst für ein Segelschiff – doch alle gewöhnlichen Erfahrungen.
Hulda lebte kaum mehr, und ihr Bruder wußte kein Wort zu finden, das sie hätte trösten und aufrichten können. Angesichts der beklagenswerthen jungen Leute mißlang selbst dem Professor fast der Vorsatz, immer und immer noch etwas Hoffnung zu bewahren. Hulda und Joël verließen die Schwelle des Hauses jetzt nur noch, um nach der Seite von Moel hinaus zu blicken oder ein Stück auf der Straße nach dem Rjukansos hinzugehen. Ole Kamp mußte eigentlich von Bergen aus kommen, aber es war ja nicht ausgeschlossen, daß er vielleicht von Christiania käme, wenn der Bestimmungshafen des »Viken« geändert worden war.
Das Geräusch von einem Schußkarren, das aus den Bäumen vernehmbar wurde, ein Schrei, der die Luft durchzitterte, der Schatten einer Menschengestalt, der sich an einer Pfadbiegung zeigte, ließ ihre Herzen – leider vergeblich – allemal höher schlagen. Die Leute in Dal wachten sozusagen auch ihrerseits und gingen den Postboten stromauf-und stromabwärts des Maan entgegen. Alle bewiesen ihre innige Theilnahme gegenüber der so allbeliebten Familie, wie gegenüber dem armen Ole, den man ja fast als ein Kind Telemarkens betrachtete; doch weder von Bergen noch von Christiania traf ein Brief ein, der Nachricht von dem Verschollenen gebracht hätte.
Auch am 16. ereignete sich nichts Neues. Der Professor
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