Ein Lottogewinn und 8 Millionen andere Probleme
nur einen einzigen Hit in den Charts gehabt. In der Vorstellungsrunde hatte er davon erzählt, wie ihn der Chefjuror fallen gelassen hatte, nachdem sein Plattenvertrag ausgelaufen war. Seither schlug er sich mit Auftritten im Reality-TV durch.
»Mein Agent will mich unbedingt bei Ich bin ein Star, holt mich hier raus! unterbringen. Aber ich nehme an diesem Seminar teil, weil ich lernen will, mehr aus mir zu machen.«
Darryl übertrieb ein bisschen, wenn er behauptete, Marcus habe sein Vermögen seinem Talent zu verdanken. Er hatte nur gewonnen, weil er den Zuschauern leidtat. Er sah nicht besonders gut aus, hatte aber traurige braune Hundeaugen und als Kind Krebs gehabt. Deswegen hatten alle für ihn gestimmt.
Besonders reich war er auch nicht. Er besaß zwei Millionen und eine Wohnung in Chelsea.
»Aber das Wohngeld ist Wucher. Ich überlege schon, ob ich wieder nach Rotherham ziehen soll.«
»Gute Idee«, meinte Said. »Mein Vater lässt dort eine Wohnanlage bauen. Er hat bestimmt ein Appartement für dich.«
»Du bist ja so still, Lia«, wandte sich Dr. Flint an mich. »Dein Millionengewinn war doch bestimmt auch ein ziemlicher Schock, oder?«
»Ich find’s toll«, sagte ich. »Ich muss mich bloß erst dran gewöhnen.«
»Keine Probleme?« Dr. Flint schaute mich über seine Brille forschend an.
»Ach, es geht. Natürlich sind manche Mädchen neidisch und lästern über mich. Aber sonst ist alles okay.«
Said schnaubte: »Willst du uns verarschen? Du hast der Mutter von deinem Freund eine Torte ins Gesicht geklatscht. Wir haben alle das Foto in der Zeitung gesehen. Du bist erst seit ein paar Wochen reich und drehst schon voll durch!«
»Lass Lia in Ruhe«, nahm Olivia mich in Schutz. »Sie ist total großzügig. Habt ihr nicht gehört, wie sie dem kleinen Alfie hilft?« Sie drehte sich zu mir um. »Ich wünschte, mir würde auch so was einfallen. Da fühlt man sich bestimmt super.«
»Warum lässt du dir dann nichts einfallen?«, fragte ich.
Sie machte ein verblüfftes Gesicht. »Weil ich niemanden kenne wie Alfie und seine Mutter. Und weilmeine Eltern bestimmt nicht damit einverstanden wären, wenn ich achttausend Pfund verschenken würde.«
»Ich kümmere mich nicht darum, was meine Eltern wollen«, gab ich zurück.
»Heute Nachmittag geht es übrigens um Wohltätigkeit«, warf Dr. Flint ein.
»Um Schmarotzer«, sagte Said und schaute dabei Darryl und Marcus an.
»Willst du eins in die Fresse?«, fragte Darryl.
»Aber, aber!«, sagte Dr. Flint.
»Ich freu mich schon auf heute Nachmittag«, meinte Olivia. »Ich fühl mich echt schlecht, weil ich so reich bin. Aber ich kann mit keinem darüber sprechen, weil mich sonst alle für verrückt halten.«
»Kein Wunder«, sagte Said halb laut.
»An meiner Schule haben alle Mädchen reiche Eltern. Alle halten sich für was Besseres, weil sie auf eine Privatschule gehen. Niemand hinterfragt mal was.« Sie wurde rot.
»Sehr gut, Olivia«, lobte Dr. Flint sie.
»Es geht immer nur darum, wer die Beste ist – wer die besten Noten hat, wer am besten aussieht, wer am dünnsten ist und so weiter, aber nur, um den anderen eins reinzuwürgen. Bei uns gibt es grade mal drei Mädchen, die später arbeiten wollen, als Ärztin oder so. Alle anderen wollen von dem Geld aus ihrem Treuhandfonds leben und reich heiraten.«
Ich nahm mir vor »Treuhandfonds« zu googeln, wenn ich wieder in meinem Zimmer war. Ich wusste viel zu wenig.
Darryl verdrehte die Augen. »Wo Marcus, Lia undich herkommen, hat man gar keine Zeit für so einen Quatsch. Meine Mutter hat ihr Leben lang den Dreck von anderen Leuten weggemacht. Sie hat noch weniger als den Mindestlohn verdient. Jetzt wohnt sie in einem Bungalow in Alderley Edge und hat selbst dreimal die Woche eine Putzfrau. Ich hab ein Schweineglück, aber ich sehe gar nicht ein, warum ich mich deswegen schlecht fühlen soll.«
»Zum Beispiel, weil Fußballer viel mehr verdienen als Putzfrauen?«, sagte Olivia.
»Na und?«
Dr. Flint griff ein und hielt uns einen kleinen Vortrag über Selbstwertgefühl … Lebenssinn … Werte …
»Was meinst du dazu, Lia?«
»Äh … wie bitte?«
»Ich spreche davon, was Geld für uns bedeutet. Warum fühlen sich reiche Menschen so oft antriebslos und haben keine Ziele mehr?«
Ich dachte nach und antwortete: »Ich fühle mich nicht leer. Ich bin bloß durcheinander. Ich weiß sowieso nicht, ob ich irgendwelche Ziele habe. Ich bin eher überfordert, weil ich jetzt so viele Möglichkeiten
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