Ein Macho auf Abwegen
Klasen?“, bellte der Verlagschef durch die Leitung. Christina überlegte
einen Augenblick. War es wirklich Henning oder doch wieder irgend so ein
Reporter, der eigentlich nur ein Interview mit ihr wollte. „Was kann ich für
Sie tun, Herr Henning?“, erkundigte sie sich vorsichtig, ohne sich eindeutig
erkennen zu geben. „In der Tat können Sie etwas für mich tun!“, brüllte Henning
bedrohlich in den Hörer. „Sie können Ihre Sachen packen und verschwinden! Sie
lassen Marc in Zukunft in Ruhe! Haben wir uns verstanden, Frau Klasen?“
In Christina stieg eine ungeheuerliche Wut auf. Wie kam
dieser Mann dazu, in diesem unverschämten Ton mit ihr zu reden? Henning war
zwar ganz offiziell immer noch ihr Vorgesetzter, doch so durfte niemand mit ihr
reden. Sie konzentrierte sich, um mit sicherer und fester Stimme reagieren zu
können. Henning durfte auf keinen Fall denken, er könne sie mit seinem
Chefgehabe einschüchtern. „Was erlauben Sie sich eigentlich, Herr Henning? Ich
verbitte mir diesen Ton!“, schaffte sie den Versuch, den Verlagsboss
selbstbewusst in seine Schranken zu weisen.
Henning ließ sich jedoch keinesfalls beeindrucken und kam
direkt auf den Punkt. Er wollte nicht eine Sekunde zu viel mit dieser Person
sprechen. „Sie haben wohl heute noch keine Zeitung gelesen, was? – Dann werde
ich Ihnen sagen, was da heute Morgen so drinsteht ...“ Christina hörte Henning
bleiern atmen. Er war vollkommen außer sich. „... Frau Klasen, oder soll ich
Sie lieber Señora Moreno nennen?“
Christinas Herz machte einen riesigen Sprung, und ihr Puls
schlug blitzartig in den höchsten Frequenzen. Sie ließ sich kraftlos auf ihr
Bett fallen, während sie dem Verlagsmanager weiter zuhörte. „Ich möchte mich
kurz fassen. Sie sind eine brutale Mörderin und haben deshalb viele Jahre im
Gefängnis gesessen. Sie haben Marc schwer hintergangen, und Sie sind im Begriff,
seinen Erfolg auf einen Schlag dem Erdboden gleichzumachen. Ich muss Ihnen
sicher nicht erläutern, welche Folgen das für ihn haben wird, wenn er offiziell
mit einer Frau zusammenlebt, die ihren Ehemann kaltblütig in ihrem Ehebett
erstochen hat.“
Christina verneinte kopfschüttelnd. Allmählich wurde ihr
klar, was passiert sein musste.
Es war heraus! Jemand hatte die ganze Wahrheit über
Christina Klasen-Moreno herausgefunden. Aus! Vorbei! Es war ein für allemal
vorüber! – So schnell?
Sie vermochte nichts mehr zu sagen und hörte kaum noch hin,
was Henning ihr noch zu erzählen hatte. „Ich sage Ihnen jetzt, was Sie tun
werden. Hören Sie mir gut zu, junge Frau! – Sie verschwinden au-gen-blick-lich
aus Marcs Haus und genauso unauffällig aus seinem Leben, und das tun Sie
so-fort!“, lärmte Henning.
Christina reagierte überhaupt nicht. Sie war wie betäubt,
einschließlich ihrer Zunge. „Sind Sie noch da?“, fragte Henning ungeduldig.
„Haben wir uns verstanden, Frau Klasen?“ Mit tränenerstickter Stimme flüsterte
sie dünn: „Ja, Herr Henning, haben wir. Ich werde sofort das Haus verlassen.“
Sie hielt vollständig bewegungsunfähig den Hörer in ihrer
Hand und vernahm nur noch ein kurzes Klicken in der Leitung. Henning hatte
kommentarlos die Verbindung unterbrochen.
Was sollte sie jetzt tun? Marc anrufen, um es ihm zu sagen?
– Nein, der würde sie nicht gehen lassen. Sie musste vernünftig sein. Henning
hatte Recht. Es war alles so gekommen, wie sie es in ihren schwärzesten Träumen
schon tausendmal erlebt hatte. Sie waren an dem Punkt angekommen, vor dem sie
die meiste Angst gehabt hatte. Der Zeitpunkt, der unwillkürlich kommen musste,
den sie vor ein paar Tagen lediglich ein wenig hatten herauszögern können. Wie
kann man nur so naiv sein, um zu glauben, dass alles gut wird – irgendwie?,
dachte sie. Oder hatte Henning etwa nur versucht sie einzuschüchtern, damit sie
die Beziehung zu Marc von alleine aufgäbe? – So ein Blödsinn!, mahnte sie sich
zur Vernunft. Henning hatte alles gewusst, und sein Anruf war mit Sicherheit
kein von langer Hand geplanter gewesen. Nein, der Verlagschef hatte sie ganz
spontan angerufen.
Um die allerletzten Zweifel an Hennings Glaubwürdigkeit aus
dem Wege zu räumen, schaltete sie den Fernseher ein.
Es war in der Tat kein böser Traum. Nein, das war das reale
Leben. Christina war Thema Nummer Eins. Die Presse war scheinbar sehr fleißig
gewesen und bereits im Besitz ihrer persönlichsten Familienfotos. Sie
betrachtete sich selbst im Fernsehen auf ihren
Weitere Kostenlose Bücher