Ein Macho auf Abwegen
Essen einladen wollte, lehnte Christina regelmäßig dankend ab.
„Feudales Essen mache ich dir zu Hause. Wenn wir schon einmal in der Stadt
sind, möchte ich lieber eine Curry-Wurst!“
So endete jeder Ausflug in die City an irgendeiner
Imbiss-Bude, wo das schmale Persönchen Christina Klasen regelmäßig in
systematische Pappschalen-Fress-Attacken verfiel. Sie bestellte alles gleich
doppelt. Wurst, Pommes-Frites und Mayonnaise. Da mussten es nicht Krustentiere
oder sonst eine lukullische Mahlzeit sein. Sie war mit ihren Pommes auf der
Hand glücklich.
Marc konnte sich bei diesen Gelegenheiten gar nicht genug an
ihr satt sehen, es machte ihm schlicht und ergreifend Freude, ihr anzusehen,
wie viel Spaß sie an solchen Kleinigkeiten haben konnte. Wie hatte er nur ohne
das alles jemals existieren können? Für keine halb so junge, silikonbusige
Schönheit, hätte er seine Christina jemals wieder eingetauscht. Wie hatte er
nur ohne die vielen ersprießlichen Gespräche, ohne diese Herzenswärme und
unverfälschte Liebe, mit der sie ihn tagtäglich überschüttete, ja fast
ertränkte, leben können? Sie liebte ihn, den Menschen Markus Steffens und nicht
den prominenten, reichen Künstler Marc Stevens.
Nichts war selbstverständlich für sie. Sie nahm alles wie
ein großes Geschenk. Es hatte für ihn noch keinen Menschen in seinem Leben
gegeben, der ihm so intensiv zu verstehen gegeben hatte, wie sehr er gebraucht
wurde. Sie suchte laufend seine Nähe, war in jeder freien Minute mit ihm auf
Tuchfühlung, als müsste sie den ständigen Beweis dafür bekommen, dass sie nicht
mehr alleine war, dass es einen Menschen gab, der ihr in allen Lebenslagen
beiseite stand.
So selbstständig, vernünftig und erwachsen sie normalerweise
wirkte, so anlehnungsbedürftig, unsicher und wehrlos schien sie doch zu sein
und brauchte ihn als ihren starken Partner, der ihr Unerschütterlichkeit und
Sichersein vermittelte. Es befriedigte ihn ohnegleichen derart
überlebensnotwendig für sie zu sein. Christina gab ihm die Gelegenheit, die
Rolle seines Lebens zu spielen. Er hatte den Part in dieser Beziehung angetreten,
den eigentlich jeder Mann gerne übernahm, und zwar den des Beschützers und
Helden für seine Frau und vielleicht bald schon für seine Familie.
Außerdem schätzte sie seine Arbeit sehr, das imponierte ihm
logischerweise ungeheuer. Aus Christinas Mund hörte er keine hirnlosen Sprüche
über das schnelle Geldverdienen von Prominenten. Nein, sie überblickte, wie
unberechenbar diese Branche war, wie schnell man sehr viel Geld in kürzester
Zeit in den Sand setzen konnte, und ein Produzent sein halbes Vermögen mit
jeder Neuerscheinung riskierte. Sie hatte verstanden, wie viel Energie, Kraft
und Zeit die Entstehung einer CD kostete. Christina hatte erfasst, dass man für
einen großen Erfolg auch mächtig investieren musste. Sie bewunderte ihn ganz
offen, verlangte aber unausgesprochen nichts anderes von ihm.
Sie hatten sich immer etwas zu sagen, niemals ging ihnen der
Gesprächsstoff aus. Sie erzählten, diskutierten, stritten und versöhnten sich.
Sie kommunizierten ständig auf eine ganz unheimliche Weise, selbst wenn sie
ganz bewusst schwiegen. Beim gemeinsamen Lesen vor dem Kamin, wenn einer von
beiden gerade eine Buchseite umschlug und zum anderen herüberschaute, spürte
das dieser sogleich, und ihre Blicke berührten sich für den Bruchteil einer
Sekunde, bevor man sich wieder auf sein Tun konzentrierte.
Christina kam Marc seit ihrem Freispruch und dem Wiedersehen
mit ihrer Familie unglaublich ausgeglichen vor. Niemals stand sie neben sich,
zu keiner Zeit war sie hektisch, nervös oder gar schlecht gelaunt.
Sie war wie ein Chamäleon, welches für jede Lebenssituation
seine Farbe wechselte.
Sie war die Frau, die gerne an der Würstchenbude aß, gab
aber die großartigsten Abendessen mit Geschäftspartnern zu Hause, ohne
Cateringservice, verstand sich von selbst. Sie radelte mit dem Fahrrad in Jeans
und T-Shirt durch das Dorf, fuhr dagegen im Porsche, durchgestylt von oben bis
unten nach Hamburg. Sie war eine liebebedürftige Schmusekatze, aber auch die
heißhungrige und dabei unersättliche Geliebte. Wenn es sein musste, bekam Marc
nachts kein Auge zu, so wurde er gefordert.
Nur in wenigen Situationen verfiel sie in frühere
Verhaltensmuster, wurde sie automatisch wieder zur Angstbeißerin, die lieber
zuerst angriff, bevor sie selber verletzt werden konnte. Nicht nur Christina
schien verschiedene Augenspiele
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