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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mitzunehmen!« Aber er schoß nicht zuerst, ein dumpfes Gefühl der Angst hinderte ihn daran. Auch mochte er denken: Was habe ich davon, wenn er stirbt und ich mit ihm? Nur als Überlebender ist es schön – mir ist nicht damit gedient, wenn ich hier irgendwo im Wald verscharrt werde.
    In diesem Augenblick sprang Akja vor. Lautlos, von der gefrorenen Erde abfedernd, hetzte er hoch und sprang Nikolka an den Hals. Aber noch ehe er zubeißen konnte, schoß der ›Rote‹, die Kugel traf Akja zwischen die Augen, er heulte auf, warf die Vorderläufe vor und fiel mit seinem vollen Gewicht gegen Litowka. Eine Sekunde hinterher schoß Anuschka. Sie hatte auf das linke Bein Nikolkas gezielt, der Einschlag riß es nach hinten. Nikolka warf die Arme hoch und stürzte zusammen mit dem toten Akja in den Schnee. Dort drehte er sich wimmernd, als ringe er mit dem Hundekörper, wälzte sich zwei Meter weiter und blieb liegen.
    Abels kniete neben Akja und hielt die blutende Schnauze hoch. Die schönen grünen Augen waren gebrochen, die Lefzen waren hochgeschoben vom letzten Bellen und gaben die herrlichen Zähne frei. Das Loch zwischen den Augen war klein und blutete kaum, und doch hatte es das treue Leben ausgelöscht.
    Abels ließ den Kopf Akjas in den Schnee sinken und stürzte zu dem wimmernden Nikolka. Der lag auf dem Rücken, preßte beide Hände gegen den linken Schenkel und seine Augen quollen über vor Schmerz und Angst.
    »Du hast Akja erschossen!« stöhnte Abels und spürte, wie alles Menschliche von ihm abfiel, wie er nur noch Rache war, Blutdurst und Mordgier. Er riß den tatarischen Dolch aus dem Gürtel und setzte die Spitze auf Nikolkas Hals. »Wer tötet, soll getötet werden! Du kennst das Gesetz der Wälder! Du hast meinen besten Freund gemordet!«
    Nikolka keuchte und krallte die Finger in den gefrorenen Schnee. Sein Blick ging zu Anuschka, die auf sie zutrat. Sie hielt das Gewehr unter dem Arm, aber er sah, daß es entsichert und schußbereit war.
    »Nicht, Tinja«, sagte sie leise. »Er wird uns nicht mehr verfolgen. Das ist genug.« Abels richtete sich auf, er bebte am ganzen Körper, als er hinübersah zu Akja, auf diesen graubraunen Fellhügel, auf dem die dicken Schneeflocken wie herabgestreute Blütenblätter liegenblieben.
    »Erschießt mich!« schrie Nikolka. »Ich will nicht mehr leben.«
    »Komm!« Anuschka faßte den Arm Martins. »Laß uns fahren.«
    »Und der da?«
    »Laß ihn liegen, Tinja.«
    Nikolka richtete sich auf. Er versuchte, aufzustehen, aber sein angeschossenes Bein versagte, es knickte ein, hing leblos an der Hüfte. Gleichzeitig jagte ein brennender Schmerz durch seinen Körper, hinauf bis unter die Schädeldecke.
    »Tragt mich zu meinem Schlitten!« schrie er.
    Anuschka schüttelte den Kopf. »Du hast den Weg allein hierhergefunden – find ihn auch wieder zurück.«
    Sie schob Abels, der zögerte, vor sich her, stieg in den Schlitten und deckte sich mit den Fellen wieder zu. Abels sah noch einmal zurück auf den runden Platz.
    »Wir sollten Akja begraben, Anuschka.«
    »Das dauert eine Stunde, Tinja. Die Erde ist gefroren, zwei Meter tief. Aber jede Stunde ist wichtig für uns.«
    »Und Nikolka? Er wird erfrieren!«
    »Ist es unsere Schuld?«
    Abels stieg in den Schlitten. Er schauderte innerlich. Jetzt ist sie eine Asiatin, dachte er. Die liebliche Seele der Anuschka ist plötzlich härter als der Frost. Wehe der Bremer Gesellschaft, die sie einmal beleidigen könnte. Die Menschen in Deutschland kannten die sibirische Kälte nicht, die hier im Osten im wärmsten Herzen schläft …
    Er nahm die Zügel, Sasja wieherte, die Kufen knirschten im Schnee.
    »Hilfe!« brüllte Nikolka grell. »Habt Erbarmen! Seid doch Menschen, Genossen! Denkt an die Mutter, die mich geboren hat, wie eure Mutter euch geboren hat!«
    Abels hielt den Schlitten an. Da spürte er wieder die Hand Anuschkas auf seiner Schulter.
    »Fahr weiter, Tinja«, sagte sie laut.
    »Wir können ihn nicht liegen und verfaulen lassen«, sagte Abels. »Zu seinem Schlitten könnten wir ihn tragen.«
    »Er wollte dich töten, Tinja. Wer dich töten will, ist für mich tot. Du allein bist alles, was ich noch habe auf der Welt. Er wollte es mir nehmen. Er muß sterben.«
    »Aber nicht so.«
    »Er wird nicht lange allein bleiben.«
    »Wölfe –« Abels hob schaudernd die Schulter.
    »Nein. Hier gibt es keine Wölfe. Er wird sich selbst helfen und nach Torusk zurückkommen. Fahr, Tinja … es ist unsere Zeit, die wir

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