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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Niemand war darunter, auf den die Polizei warten konnte. Höchstens der Türke, der in Ankara zugestiegen war. Er war immer etwas nervös gewesen. Bestimmt Rauschgiftschmuggel.
    »Wir begrüßen Sie in Hamburg und wünschen Ihnen weiterhin alles Gute«, sagte die Stimme des Chefstewards durch das Bordmikrofon. »Bitte das Handgepäck für den Zoll bereithalten.«
    Martin Abels und Anuschka waren die Vorletzten, die das Flugzeug verließen.
    Anuschka hatte auf dem Flug viel geschlafen, dank der Beruhigungspillen und einiger Kreislauftropfen, die man ihr aus der Bordapotheke verabreicht hatte. Sie saß ja zum erstenmal in einem Flugzeug. Oft hatte sie über der Taiga und über Torusk die Militärmaschinen heulen sehen, vor allem im Sommer, wenn die Flugzeugstaffeln von Jakutsk ihre Übungen abhielten. Sie hatte nie richtig begriffen, wieso man solch schwere Maschinen schwerelos durch die Luft brausen lassen konnte, nur weil ein paar Propeller rasend kreisten oder einige Düsen heulend und krachend die Luft vorne ansaugten und hinten wieder hinausdrückten. Nun war sie selbst in solch einem Riesenvogel, saß in einem weichen Polstersessel, wurde angeschnallt, und dann spürte sie nur ein Zittern unter den Füßen, ein Gebrumm, und wartete, was noch weiter geschehen würde – aber als nichts weiter geschah, sah sie aus dem rechteckigen, dickglasigen Fenster und erkannte unter sich die Riesenstadt Tokio, den Hafen, das Meer. Da wurde ihr schwindlig vor Angst, und sie bekam ihre ersten Tropfen.
    Das wiederholte sich bei allen Zwischenlandungen. Es war ihr unheimlich, das ein ganzes Haus, ja daß fünfundachtzig Menschen so einfach über den Wolken fliegen konnten und die Tausende von Werst zwischen Tokio und Europa zusammenschrumpften zu ein paar Stunden, in denen man sonst von Torusk aus nicht weiter gekommen wäre als bis Taragaisk.
    Nun war es überstanden. Sie klammerte sich an Martin, als sie auf die Treppe trat und über das Flugfeld und die Flughafengebäude sah, auf das kreisende Riesenauge des Radar auf dem Dach des Kontrollturmes, auf die Leuchtschrift HAMBURG, auf die Gepäckwagen, die unter die Flügel der Maschine fuhren und aus den Ladeklappen die Koffer und Kisten übernahmen.
    »Wir sind bei dir zu Hause, Tinja?« fragte sie leise.
    »Noch nicht, mein Täubchen. Wir müssen noch ein Stück Autobahn bis Bremen fahren; aber dann sind wir in unserer kleinen Welt. Dann gibt es nur noch dich und mich.«
    Er sah auf die noch immer wartenden Herren an der Gangway und lächelte schmerzlich. Natürlich, dachte er. Sie müssen dasein! Es geht nichts über die deutsche Gründlichkeit. Ich habe nur einen provisorischen Paß, ich stehe unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, ich muß mich bei der Ankunft melden. Es wird lange dauern, bis ich allen Behörden klargemacht habe, daß es kein Märchen ist, wenn ein Mann heimlich nach Sibirien fährt, um die Frau zu holen, die er liebt. Man wird es unglaublich finden, denn es durchbricht die Norm, in der wir heute alle leben.
    Langsam stieg er die steile Treppe hinunter und nickte den beiden Herren zu. »Hier bin ich, meine Herren!« sagte er unbefangen. Die Stewardeß oben an der Tür riß die Augen auf. Der? Dachte sie verblüfft. An den hätte ich am allerwenigsten gedacht. Wie man sich täuschen kann.
    »Herr Abels?« Einer der Beamten zog höflich den Hut. »Wir haben den Auftrag, Sie durch den Zoll zu führen und durch die Paßkontrolle, da Sie mit einem provisorischen Ausweis reisen und Schwierigkeiten haben könnten.«
    »Ihre Fürsorge erschüttert mich.« Abels faßte Anuschka unter, die wie verloren auf der Betonpiste stand und sich staunend umblickte. »Komm, Liebling! Der Bahnhof ist doch größer, als ich dachte.«
    »Welcher Bahnhof, Tinja?«
    »Ach, man sagt das so bei uns, wenn man von vielen Leuten erwartet wird.«
    »Merkwürdig. Bahnhof …« Sie lächelte. »Bei uns würde man sagen: Sie riechen den Speck in der Pfanne.«
    »Das trifft die Sache auch viel besser.« Abels lachte. »Komm, mein Kleines. Jetzt gehst du auf freiem Boden.«
    »Freiheit? Was ist das?«
    Sie sah sich um. Die Gebäude, die Betriebsamkeit, der Lärm erschreckten sie. Wie herrlich still sind die Wälder um Torusk, dachte sie. Wie weit ist der Himmel über Sibirien.
    *
    »Da sind sie!« schrie Petermann, als er die hohe Gestalt Martins aus einem Zimmer des Paßamtes kommen sah. Die beiden Kriminalbeamten hatten sich abgesetzt. Ihre Mission war erfüllt. Abels war planmäßig

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