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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tasse Kaffee und starrte vor sich hin auf das fleckige weiße Tischtuch, auf das irgend jemand Ei und Marmelade geschmiert hatte.
    Sie dachte in diesen Stunden weniger an Martin, als an das Problem, wie sie über die Grenze kommen könnte. So leicht, wie sie es sich anfangs vorgestellt hatte, war es nicht. Nach der ersten impulsiven Tat, nach dem Wegfahren, hatte sie im Zug Zeit genug gehabt, alles zu durchdenken. Die Kontrollen zwischen Helmstedt und Marienborn waren groß. Wenn Tinja die Polizei alarmiert hatte, war es einfach, sie aus dem Zug zu holen, bevor sie noch einen russischen Landsmann sah. Sicherer war es, nicht bei Helmstedt über die Grenze zu gehen, sondern in Berlin. Dort gab es zwar die Mauer, aber es erschien ihr leichter, die Mauer zu überwinden als eine Kontrolle der deutschen Polizei in einem Zug.
    Der Entschluß war ebenso plötzlich wie vor Stunden der in Bremen. Sie bezahlte, nahm ihren Koffer, lief aus dem Bahnhof und ließ sich mit einer Taxe zum Flughafen bringen.
    Sie hatte Glück. Ein Platz in einer Touristenklasse war zurückgegeben worden wegen Erkrankung. Anuschka bezahlte, bekam ihr Ticket und saß dann in der Halle des Flughafengebäudes, klein, in sich zusammengesunken, ein hilfloses Vögelchen, bis ihre Maschine aufgerufen wurde und ein freundlicher Steward sie über das Rollfeld begleitete und an der Maschine abgab.
    Während des ganzen Fluges starrte Anuschka durch das kleine Fenster hinaus auf die vorbeigleitende Erde. Werst um Werst fliegt dahin und trennt uns immer mehr voneinander, Tinja, dachte sie. Sie weinte dabei, lautlos rannen die Tränen aus ihren schrägen Augen, ein paarmal beugte sich die Stewardeß über sie und fragte leise, ob es ihr nicht gut sei und ob sie etwas aus der Bordapotheke holen solle. Da schüttelte Anuschka nur den Kopf, trocknete mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen, versuchte ein kleines, zitterndes Lächeln und sagte: »Es ist gutt, Fräulein. Es ist nix! Große Kummär in Harz … nix hälfen Pillänn.«
    In Berlin stand sie später allein auf dem Flugfeld, wurde durch das riesige Gebäude des Tempelhofer Flughafens geschleust und mit einem Taxenbus bis zum Büro der Fluggesellschaft am Kurfürstendamm gefahren. Dort lud man sie aus wie einen Koffer, wünschte ihr einen guten Aufenthalt in Berlin und ließ sie stehen.
    Im ersten Hotel, das sie sah, bekam sie noch ein kleines Zimmer, hinten hinaus, schmal wie ein Schlauch und dunkel durch das einzige Fenster, das einen Ausblick auf eine Ziegelmauer gewährte. Hier saß Anuschka auf dem Bett und starrte gegen die Streifentapete, hörte irgendwo die Spülung eines Klosetts und roch durch das offene Fenster den Duft von Schmorfleisch und Rotkohl.
    Tinja, dachte sie wieder. Tinja, was machst du jetzt? Bist du verzweifelt? Hast du die Polizei gerufen? Morgen werde ich wieder bei meinen Leuten sein, – und ich werde sagen: Ich habe meinen Tinja so lieb – aber diese westlichen Menschen sind wie die Teufel. Prostitutka nennen sie mich. Hure … und dabei habe ich ihnen nichts getan, Brüderchen … gar nichts getan. Es genügte ihnen schon, daß ich bloß da war. Sagt mir, was sind das nur für Menschen? Haben sie alles vergessen, was gewesen ist? Den Krieg, die Toten, die Zerstörungen, den Hunger, das Elend? O Brüderchen, sag … sind alle westlichen Menschen so schrecklich wie ein satter Deutscher –?
    Am Abend ging sie aus, ging zum Brandenburger Tor und sah hinüber zur Mauer, fuhr zum berühmten Checkpoint Charly und beobachtete, wie auf der einen Seite die Amerikaner kontrollierten und auf der anderen Seite deutsche Volkspolizisten und sowjetische Soldaten.
    Mit großen Augen sah Anuschka auf die Uniformen im Scheinwerferlicht. Da ist ein Genosse Leutnant, dachte sie. Und da … wahrhaftig, da geht ein Genosse General. Er zeigt einigen Männern die Mauer, er erklärt sie ihnen. Sie steigen auf eine Art Tribüne und sehen herüber zu mir.
    Anuschka hob die Arme und winkte. Die Männer auf der östlichen Tribüne und auch der Genosse General beachteten sie nicht. Nur ein westdeutscher Polizist trat an Anuschka heran und faßte sie am Arm.
    »Wat soll'n det?« fragte er hart. »Wohl 'ne Meise im Jehirn, wat? Weitergehen, Kleene … det hier ist nischt für Anfänger!«
    »Da drüben ist Genosse General«, sagte Anuschka und winkte wieder. Der Polizist starrte zur Tribüne und dann zu Anuschka zurück.
    »Jenosse Jeneral? Ham se dir loofen lassen aus der Klapsmühle? Los, hau ab, sonst

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