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Ein Mädchen aus Torusk

Ein Mädchen aus Torusk

Titel: Ein Mädchen aus Torusk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Haumesser das Laub von ihnen zu trennen, Bum, ging das, und bum und immer wieder bum … ein Schlag mit dem Kolben, der Körper streckte sich … ob Männer, Frauen, Kinder oder Greise, es gab keinen Unterschied.
    Auch Dimitrij und Martin Abels bekamen ihren Hieb, sie merkten es gar nicht; ihr tiefer Schlaf ging einfach nach einem Aufzucken in Besinnungslosigkeit über.
    Nur Väterchen Matwej machte Schwierigkeiten. Er kniete vor dem Altar und betete. Das tat er jede Nacht. Er brauchte wenig Schlaf, der alte Riese. Er kam mit drei Stunden Ruhe aus. In dieser Nacht war er besonders stolz. Aus den Trümmern des Hubschraubers hatte man den Altar verschönert. Vor allem die Glaskanzel bildete einen gläsernen Schrank, in dem jetzt ein großes, bronziertes Kreuz stand.
    Als die beiden Leutnants und vier Rotarmisten die Kirche betraten und die Kerzen auf dem Altar durch den plötzlichen Windzug flackerten, sah sich Vater Matwej um. Er brauchte keine Bedenkzeit, er kannte die Uniformen. Wie ein verwundeter Riesenbär sprang er auf und brüllte heiser, sein weißer Bart wehte um seinen Kopf, er ergriff einen der Leuchter, hob ihn hoch über den Kopf und schleuderte ihn gegen die beiden Offiziere.
    »Satan, weiche!« schrie Väterchen Matwej. »Gott, sieh herab!«
    Dann knatterten zwei Maschinenpistolensalven. Matwej, der Riese, brach in die Knie, faltete die Hände, Blut stürzte aus seinem Mund und rann wie ein roter Bach über den weißen Bart, seine Augen sahen zur Decke der Kirche, und während er noch immer betete, trommelten die Stiefelspitzen auf den Steinboden und zitterte der Riesenleib, als schüttele Gott ihn selbst durch. Darauf sank er nach vorn, fiel auf das Gesicht, und so starb er, kniend, mit der Stirn auf der Erde, in der demütigsten Haltung, in der ein Mensch diese Welt verlassen kann.
    Es waren die einzigen Schüsse, die in dieser Nacht fielen.
    Als der Morgen dämmerte, zogen zwei Kolonnen durch den Wald. Frauen, Kinder und Greise in der einen, bärtige, finster dreinblickende Männer in der anderen. Neben ihnen gingen mit schußbereiten Maschinenwaffen die Rotarmisten. Auch Abels war unter der Männerkolonne, die durch den Wald tappte, über den Sumpf, hinaus in eine Welt ohne Gnade. Neben ihm lief Akja, der Wolfshund. Die Rotarmisten ließen ihn laufen und lachten darüber. »Er wird dich bald ausscharren können, du Volksfeind!« schrien sie Abels zu.
    Hinter ihnen färbte sich der Himmel rot, hörten sie das Prasseln haushoher Flammen, das Krachen zusammenstürzender Balken.
    ›Das Paradies‹ verbrannte. Bis zur Lena flogen die Funken und verlöschten zischend auf dem Eis.
    Die Welt hat keinen Platz mehr für den Frieden.
    Nach sechs Stunden Marsch durch eisige Kälte und hüfthohen Schnee erreichten die beiden dunklen Kolonnen das Ausgangslager der sowjetischen Truppen. Dicke Winterzelte mit Schlitzen, aus denen die dampfenden Ofenrohre ragten. Auf einem festgestampften Platz stand ein Hubschrauber, einer wie jener, der über der Lena abgestürzt war.
    Martin Abels hob den Kopf. An der Glaskanzel lehnte ein junger Soldat, blonde, kurze Haare, ein Gesicht wie ein Lausbube. Die Kolonne marschierte an ihm vorbei, gesenkten Hauptes, verbissen noch jetzt in ihrem Widerstand gegen die Antichristen, denen sie nun ausgeliefert war.
    Abels drehte den Kopf zur Seite. Sein Blick kreuzte sich mit dem Blick des jungen, blonden Piloten. Sie erkannten sich sofort, sie sahen sich groß an … der eine forschend, bittend, der andere kühl, unbeteiligt. Dann wandte der junge Soldat den Kopf, drehte sich um und machte sich an der Glaskanzel zu schaffen. Abels senkte den Blick und trottete weiter in der verlorenen Kolonne.
    Den Besiegten kennt man nicht, dachte er.
    Wie dumm, zu hoffen, daß der Mensch sich, ändern könnte.
    *
    Zwei Tage dauerten die Verhöre.
    Man nahm es sehr genau mit diesen Sektierern. Aus Jakutsk war ein Kommissar gekommen, Iwan Timofeijewitsch Iswarin. Er war berühmt für seine Verhöre, denn bei ihm gestanden Schuldige, die es nie getan hatten. Kommissar Iswarin sah gemütlich aus, er trug ein schwarzes Bärtchen auf der Oberlippe, was direkt westlich-dekadent aussah, aber wenn er den Mund auftat, war kein Eissturm kälter als seine Stimme. Sie fuhr ins Mark und jagte Angstschauer über das Herz.
    Der Tatbestand war klar. Er reichte aus, um alle Mitglieder der Sekte lebenslänglich in die Verbannung zu schicken; nach Workuta, wo sie an der Eismeerstraße verrecken würden, oder nach

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