Ein magischer Walzer
den Keller gehen. Für nichts und niemanden. Ein paar Arbeiter hielten es für einen Witz, dass ein großer kräftiger Mann wie Reuben Angst vor der Dunkelheit hatte. Sie legten ihn eines Tages herein, stülpten ihm einen Sack über den Kopf und sperrten ihn im Keller ein. Zum Spaß.“
Eine Weile schwiegen sie beide. Hope stand stocksteif. In der Feme segelte eine Möwe über der Themse, ihr Schrei klang hohl und einsam.
„Als sie ihn fanden, weinte Reuben wie ein Kind, rang keuchend um Luft und war so in seinem Entsetzen gefangen, dass er Stunden brauchte, um sich zu beruhigen. Er musste aus dem Keller getragen werden, obwohl er so schwer war.“
Sie stand still wie eine Statue, starrte blicklos auf die dunkle Stadt. Eine Barke glitt lautlos über den Fluss.
„Viel später hat er mir erzählt, dass er mit sieben Jahren im Bergbau zu arbeiten begonnen hatte. Damals störte ihn die Dunkelheit nicht weiter. Er arbeitete jahrelang da. Aber eines Tages, gegen Ende der Schicht, stürzte der Schacht ein. Es dauerte fünf Tage, bis er gerettet wurde. Alle anderen Männer und Jungen waren tot, sein Vater und zwei seiner Brüder eingeschlossen. Er lag tagelang unter der Erde, umgeben von Toten, und wartete auf sein eigenes Ende. Er war erst zwölf Jahre alt - so alt wie ich, als er mir die Geschichte erzählte. Reuben ist nie wieder in einen Minenschacht gestiegen. Er konnte es nicht. Und er ging auch nicht in den Keller oder in einen kleinen Wandschrank.“ Ein Karren holperte über die Straße unten. Irgendwo bellte ein Hund. Sebastian legte Hope eine Hand auf die Schulter.
„Später verprügelte er die Männer. Reuben Davy war ein Mann, der einem Respekt abnötigte. Auch wenn er es nicht ertrug, sich in engen, dunklen Räumen aufzuhalten. Wir alle haben etwas, das wir nicht ertragen.“
Er spürte, wie alle Spannung aus ihr wich. Langsam, ganz langsam drehte sie sich um, und er ließ die Arme sinken. In ihren Augen schwammen Tränen. „Danke“, flüsterte sie.
Am liebsten hätte er sie an sich gerissen und alle Sorgen fortgeküsst. Stattdessen nahm er das Brandyglas und hielt es ihr an die Lippen. „Hier, trink. Es wird ein bisschen brennen, aber nachher wirst du dich besser fühlen.“
Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu und lehnte sich gegen ihn. Er konnte sie riechen, den schwachen Duft, der unverwechselbar ihrer war. Sein Mund wurde trocken, als sie mit ihren Lippen das Glas berührte, das er hielt. Nie zuvor hatte er einer Frau das Glas gehalten, damit sie trinken konnte. Es hatte etwas merkwürdig Intimes.
Seine freie Hand legte er ihr auf den Nacken, dann kippte er das Glas. Sie nahm einen Schluck der goldenen Flüssigkeit, schluckte, schauderte, als der Alkohol ihr brennend die Kehle hinablief. Als er in ihrem Magen ankam, keuchte sie und erschauerte erneut. Mit zurückgelegtem Kopf schloss sie die Augen, genoss die Wärme des Brandys. Ihre Lippen und Wangen schimmerten feucht.
Sobald sie die Augen wieder öffnete, sagte sie schlicht: „Mein Großvater hat mich immer in den Wandschrank unter der Treppe eingesperrt.“ Ein kleiner Schluchzer entrang sich ihr. „Ich ertrage es nicht, eingesperrt zu sein, und das wusste er.“
Er nickte. So etwas hatte er sich schon gedacht.
„Nie wieder, das verspreche ich. Nie mehr“, flüsterte er und strich ihr übers Haar. Seine Finger wirkten im Vergleich mit ihrer zarten Schönheit grob, verwachsen und hässlich. „Jetzt noch einen Schluck.“
Sie leckte sich über die Lippen, spitzte sie. Es wäre besser, wenn er sie nicht so hungrig beobachtete, aber er konnte seinen Blick einfach nicht abwenden, so sehr begehrte er sie. Ihre Augen waren riesig im Mondlicht, ihre Lippen feucht und leicht geteilt.
Er streichelte die Stelle, auf die er vorhin nur gestarrt hatte, ihren Nacken. Ein leiser Luftzug wehte ihre Locken gegen seine Finger. Rythmisch strich er über ihre seidenweiche Haut. Ein Schauer durchlief sie.
„Kalt?“, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. Auf ihren Wangen glitzerten Tränenspuren, ihre Wimpern waren nass. Sie hob ihm ihr Gesicht entgegen, und mit einer raschen Bewegung nahm er ihren Mund in Besitz.
Sie erwiderte seinen Kuss mit einer unerfahrenen Ehrlichkeit, die ihn direkt ins Herz traf. Und in seine Lenden.
Er schmeckte Tränen und Verlangen. Unschuld. Erschöpfung. Er löste sich von ihr, rang um Beherrschung, ohne sie loszulassen, atmete schwer, während er seinen Körper seinem Willen unterwarf. Sie war geschwächt
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