Ein Mann für eine Nacht (German Edition)
Schokoladenfingern betatschte.
„Gib mir Simon“, verlangte Anna. „Ich muss ihm die Leviten lesen, weil er mir das eingebrockt hat.“
„Er ist nicht da“, sagte Claire niedergeschlagen.
„Aha ... übrigens, hat Victoria von mir gesprochen?“
„Nein“
„Blöde Kuh“
„Ja.“ Claire wurde ganz still.
Später saß sie allein in der Küche, während Simons Shepherd‘s Pie kalt wurde. Sie hatte in den letzten zwei Stunden die Küche blitzblank geputzt, und die herzförmige Kerze war schon fast vollkommen abgebrannt. Sie pustete sie aus. Es war schon spät. Eigentlich sollte sie jetzt nach oben gehen und sich abschminken. Sie freute sich darauf, die neue Creme auszuprobieren. Nichts deutete darauf hin, dass Simon bald heimkommen würde. Auf dem Anrufbeantworter hatte sie nur Nachrichten von ihrer Mutter und einem Nachbarn vorgefunden, der wissen wollte, ob sie bei der Nachbarschaftswache mitmachen würden.
Um Mitternacht hatte sie immer noch nichts von Simon gehört. Sie rief im Büro an, aber da nahm niemand ab. Claire wurde langsam ganz schlecht vor Sorge. Das Zusammentreffen mit Victoria und Simons Verschwinden hatten ihren schönen Tag ruiniert. Sie legte sich in das große leere Doppelbett und machte den Fernseher an, um sich abzulenken. Aber jedes Mal, wenn sie ein Auto hörte, horchte sie, ob sich der Schlüssel in der Haustür drehte. Irgendwann am frühen Morgen fiel sie in einen unruhigen Schlaf.
Kapitel 12
Anna trug zu ihrem Bewerbungsgespräch ein schlichtes marineblaues Kostüm. Das Gespräch fand in der Geschäftszentrale in der O‘Conell Street statt, und sie hatte einen halben Tag frei bekommen. Als sie, ganz auf Businessfrau getrimmt, an der Molly Malone Statue vorbeistöckelte, fragte sie sich plötzlich, was zum Teufel sie da gerade tat.
Sie war sich überhaupt nicht sicher, ob sie für sechs Monate in irgendein Provinznest gehen wollte. Vielleicht gab es dort nur zwei Pubs, in denen entweder achtzehn- oder achtzigjährige Kerle rumlungerten. Sie wäre dort zwar immerhin stellvertretende Filialleiterin, aber wollte sie das wirklich? Vielleicht sollte sie doch lieber hier bei ihren Freunden in Dublin bleiben. Hmmm. Welche Freunde?
Anna schaute auf die Uhr und ging schneller. Zu spät kommen, ging gar nicht . Sie überquerte die O‘Connell Street. Es wehte ein schneidender Wind, und sie war froh, dass sie einen Rock trug, dessen Länge sogar bei den Nonnen durchgegangen wäre. Die Valentinsauslage in einem Ein-Pfund-Shop versetzte ihr einen Stich. Valentinstag! Grässliche Angelegenheit. Auch diesmal würde sie von niemandem etwas bekommen. Früher hatte sie sich selbst Karten geschrieben ... aber dafür war sie jetzt zu alt. Viel zu alt. Sie stieß mit Elaine zusammen, die aus der Zentrale kam. Sie war leichenblass.
„Wie ist es denn gelaufen, Elaine?“, fragte Anna besorgt.
„Schrecklich“, antwortete Elaine. „Ich hab letzte Nacht kein Auge zugemacht, weil mir alles im Kopf herumging. Die haben aber nicht eine einzige Frage gestellt, auf die ich mich vorbereitet hatte.“
„Ach herrje!“ Mehr fiel Anna dazu nicht ein, denn sie konnte überhaupt nicht verstehen, warum sich jemand wegen so etwas den Schlaf rauben ließ.
„Ich brauch die Gehaltserhöhung unbedingt“, jammerte Elaine.
Ich doch auch. Aber nicht um jeden Preis, antwortete Anna im Stillen. Laut sagte sie: „Ich ruf dich nachher an, und dann gehen wir einen trinken. Es ist bestimmt viel besser gelaufen, als du denkst.“
„Viel Glück!“ Elaine umarmte sie ungeschickt und ging die Straße hoch.
Manche Leute nehmen das Leben aber auch allzu schwer, dachte Anna, als sie im Waschraum ihr Make-up auffrischte. Elaine sollte wirklich mal runterkommen. Oder hatte Elaine vielleicht sogar recht, fragte sie sich plötzlich beunruhigt? Vielleicht war es ja Elaine, die die richtigen Prioritäten setzte und sie selbst war die Vollidiotin? Jemand, der sich einfach nur treiben ließ? Solche Leute wurden von der Strömung mitgerissen und ertranken am Ende vermutlich. Kein angenehmer Gedanke. Sie atmete mehrmals tief durch und wappnete sich für das Bewerbungsgespräch, dann schritt sie zielstrebig aus dem Waschraum.
„Wo sehen Sie sich selbst in fünf Jahren?“, fragte Mr. Walton von der Personalabteilung barsch.
Nicht auf deinem Stuhl , dachte sie. Ich hab dann mit einem eigenen Geschäft mein Glück gemacht und liege hoffentlich an einem Strand auf den Bahamas mit einem gut aussehenden Ehemann, der mich
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