Ein Mann von Ehre
sein Wunsch, jemanden zu haben, mit dem er seinen Kummer über den Verlust seiner ersten Frau teilen konnte. Er hat sehr an Anna gehangen, weil sie in dieser Verbindung die charakterlich Stärkere war.“
Noch nie hatte Rosalyn jemanden den Bund des Lebens in dieser Weise beschreiben gehört, und dieser Standpunkt entsprach genau ihrer Auffassung von Zweisamkeit. Allerdings wusste sie sehr gut, dass die meisten Männer sich ihre Ehe grundlegend anders vorstellten.
„Ich befürchte, Jareds Mutter und ich sind uns nicht so ähnlich, wie Sie glauben, Sir. Ich habe nämlich ein ziemlich aufbrausendes Naturell, das zu bändigen mir selten gelingt.“
„Das werde ich mir merken“, erwiderte Damian auflachend. „Und nun werden Sie mich bitte entschuldigen müssen, Miss Eastleigh. Ich habe etwas Dringendes zu erledigen. Wir sehen uns dann heute Abend.“
„Auf Wiedersehen, Sir.“ Rosalyn schaute ihm hinterher und staunte über sein energisches Wesen. Gewiss, er war charmant, strahlte indes etwas aus, das sie sich unwillkürlich fragen ließ, ob es klug sei, auf zu freundschaftlichem Fuß mit ihm zu verkehren.
2. KAPITEL
Der Bruder hatte Rosalyn geschrieben, er habe vor, sie mit Mrs. Jenkins und Miss Holland in der kommenden Woche zu besuchen und einige Tage zu bleiben. Das erstaunte sie, da er sich selten in Lyston House aufhielt. Im Allgemeinen zog er es vor, in London oder auf seinem in Devon gelegenen Anwesen zu sein. Möglicherweise hatte er endlich vor, sich zu verheiraten. Anders konnte sie sich seine Absicht nicht erklären, sie in weiblicher Begleitung aufzusuchen.
In Gedanken versunken verließ sie, unterstützt von einem Lakai, die vor dem prächtigen Portal von Orford Hall haltende Kutsche und begab sich mit ihrer Cousine ins Haus, wo sie von Mrs. Browne empfangen wurden. Man legte Hüte, Handschuhe und Mäntel ab und wurde dann in den Salon gebeten.
Maria setzte eine strahlende Miene auf, als sie den Vikar erblickte, der sich mit Mr. Wrexham unterhielt. Beim Erscheinen der Damen erhoben sich die Herren und lächelten sie an.
„Guten Abend, meine Damen“, sagte Damian herzlich, ging auf Miss Eastleigh zu und hob ihre Hand zum Kuss an die Lippen. „Ich freue mich, Sie zu sehen. Komm, Jared, und begrüße die Damen.“
„Ich bedanke mich nochmals für die freundliche Einladung, Sir“, erwiderte sie und wandte sich dann dem Jungen zu. „Guten Abend. Wie geht es dir?“
„Danke, gut, Madam.“ Er verneigte sich vor ihr und ihrer Begleiterin.
Sie machte Maria mit Mr. Wrexham bekannt, der auch ihr einen formvollendeten Handkuss gab. Nachdem Reverend Waller die Damen begrüßt hatte, begann er ein Gespräch mit Miss Bellows.
Rosalyn bemerkte, dass der Junge sich zu einem Fenster begeben hatte und mit eigenartig trauriger Miene in den Park schaute. „Er scheint nicht sehr guter Stimmung zu sein“, stellte sie fest. „Ist etwas geschehen, das ihn so bedrückt hat?“
„Ich war genötigt, ihm seine Freiheit vorübergehend zu beschneiden“, antwortete Damian ausweichend.
„Warum?“
„Manchmal muss man Maßnahmen ergreifen, mit denen man nicht unbedingt einverstanden ist, die jedoch von äußeren Umständen bestimmt werden.“
„Nun, ich hoffe dennoch, dass er hinreichend Gelegenheit hat, frische Luft zu schnappen“, erwiderte Rosalyn irritiert.
„Das versteht sich von selbst“, sagte Damian und war bemüht, seine Belustigung nicht zu zeigen. „Leider weiß er Gesellschaft nicht immer zu schätzen, es sei denn, Ihre Hündin ist bei ihm. Sie ist uns wieder zugelaufen und war fast den ganzen Tag hier.“
„Jetzt weiß ich endlich, warum sie so lange fort war. Offensichtlich hat sie Gefallen an Ihrem … Schüler gefunden.“
„Es stört Sie nicht, dass sie abtrünnig zu werden scheint?“, fragte Damian mit einem Blick, der Rosalyn die Röte in die Wangen trieb.
„Überhaupt nicht“,antwortete sie.„Sheba ist sehr eigensinnig und gehorcht mir ohnehin nicht immer. Das haben Sie ja miterlebt“, fügte sie schmunzelnd hinzu.
„Wenn dem so ist, kann ich mir die Mühe sparen, sie zu Ihnen zurückzuschicken“, erwiderte Damian trocken.
„Ja, denn sie tut nur das, was sie will.“
„Wie der Herr, so’s G’scherr!“
Rosalyn lachte auf und schaute übertrieben streng den Hausherrn an. Er war sehr scharfsinnig, und erneut wurde sie sich gewahr, dass sie in seiner Nähe auf der Hut sein musste.
Ihr Lachen hatte den Vikar und ihre Cousine veranlasst, sie überrascht
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