Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
Vom Netzwerk:
müssten. Da kam mir die Idee, Paul die Adresse von Tante Liz zu zeigen, ich zeigte ihm die Karte, die Mary, die Polizistin, für mich gemacht hatte, ich schlug ihm vor, er sollte die Adresse abschreiben, damit er, wenn es ihm irgendwann mal passte, vorbeischauen könnte. Ich hatte Tante Liz schon Jahre nicht mehr gesehen, aber ich hatte das Gefühl, sie würde bestimmt kaufen wollen, was er anzubieten hatte.

    Am Busbahnhof in North Hollywood erkannte ich Tante Liz sofort, sie sah genauso aus wie damals, als sie uns vor Jahren in Madera besucht hatte, als sie sich in meinem Zimmer breitgemacht hatte, als sie alle Bücher deines Großvaters alphabetisch geordnet hatte, woraufhin er sehr wütend wurde, denn sie waren nach seinem Privatsystem geordnet gewesen. Sie hatte dasselbe Oberteil mit Raubtiermuster an, ich glaube, man würde es eine Bluse nennen, mit einem Leopardenfellmuster. Immer wenn ich sie sah, hatte sie irgendeine Art Raubtiermuster an, sie hatte dieselben rötlichen Haare mit demselben pragmatischen Schnitt, die Worte deines Großvaters, sie trug dieselbe Lippenstiftfarbe, passend zu den Haaren. Sie küsste mich auf beide Backen und schaute mich dann wohlwollend an, wie man so sagt, und ich fragte mich, ob sie das deshalb tat, weil ich wie ein Mann von Welt aussah. Ihr Auto war ein Ford Tempo, und der war das Gegenteil von Paul Renfros Aktentasche, der Tempo war innen viel kleiner als außen. Sie bat mich, meinen Lederkoffer in
den Kofferraum zu legen. Nur Prolls würden ihre Taschen in den Innenraum des Autos mitnehmen, nur Prolls legten ihre Taschen und Wäsche und diverse andere Dinge auf den Rücksitz, weil ihre Kofferräume mit Kühlflüssigkeit und Reifen und prolligem Müll vollgestopft waren, Tante Liz' Worte. Mir war das nicht bewusst gewesen. In Madera legten die Leute ihre Sachen immer auf den Rücksitz, man kam dann leichter dran, der Kofferraum war für schmutzige Sachen reserviert, aber die Menschen in North Hollywood sollten keinen falschen Eindruck bekommen, also legte ich meine Tasche in den Kofferraum, der mit Teppich ausgelegt war, ein makelloser Kofferraum, der bis auf einen Verbandskasten und eine Folienkiste leer war, und ich dachte, hier bin ich in der echten Welt, hier fange ich ein neues Leben an. In Madera hielt ich nie so inne und dachte auf diese Weise nach, ich dachte nie, ich fahre mit dem Rad in die Stadt, ich esse ein Sandwich. Ein Mann von Welt zu sein zeigte schon Auswirkungen, dachte ich, ich reflektiere bereits mehr, wie diese Foliendecke. Und dann sagte mir Tante Liz, ich sollte einsteigen, oder genauer gesagt fragte sie, was denn so lange dauerte.

    Als wir aus dem Parkplatz raus und auf die Straße fuhren, sah ich, dass sie nur ein paar Zentimeter vom Lenkrad entfernt saß, sie saß so nah am Lenkrad, dass es so aussah, als wäre es an ihr montiert und nicht ans Auto. Sie hielt ihre Hände zusammen, sehr hoch, beide Hände ganz oben am Steuerrad, bei zwölf Uhr, oder genauer gesagt bei elf Uhr fünfundfünfzig und zwölf Uhr fünf. Wir bogen in eine grö
ßere Straße ein, und ein kurzer Blick um uns herum bestätigte mir, dass sie näher am Steuerrad saß, als dies in North Hollywood üblich war. Mein Körper war in den Beifahrersitz des Tempo gequetscht, irgendwo gab es einen Hebel, um den Sitz nach hinten zu verschieben, aber schon aus Respekt für Tante Liz und ihre Art, im Auto zu sitzen, blieb ich, wo ich war, ich wollte auch nicht, dass sie ihren Kopf komplett nach hinten drehen musste, wenn sie mich beim Sprechen anschauen wollte, falls sie sprechen sollte, meine ich, sie schien sich sehr aufs Fahren zu konzentrieren. Wir fuhren an vielen niedrigen Gebäuden vorbei, eins ans andere gereiht, Tankstellen, Autohändler, Parkplätze, und Palmen, die aus den Bürgersteigen wuchsen. Auf allem waren Schilder, auf den Bäumen waren Schilder, es gab riesige Werbetafeln, Ladenschilder, überall war Schrift. Mein Talent war schon immer das Quatschen, aber selbst wenn ich ein guter Leser wäre, konnte ich mir nicht vorstellen, alle diese Schilder zu lesen, es war, als würde man durch ein verrücktes Buch fahren, es würde hundert Jahre dauern, das alles zu lesen. Ich fragte Tante Liz, ob wir aus der Stadt raus oder in die Stadt reinfuhren, und sie sagte, weder noch, was nicht möglich zu sein schien. Ich merkte an, ich erinnere mich, angemerkt zu haben, dass das Wetter in North Hollywood angenehm mild wäre. Tante Liz sagte, dass wir eigentlich in Sherman Oaks wären.

Weitere Kostenlose Bücher