Ein Mann von Welt
war gerade in dem Teil meines Herzens, der ihr gehörte, ich handelte, ohne nachzudenken. Ich stieß die Tür vorsichtig an, sie öffnete sich. Ich muss zugeben, ich dachte, ich müsste sie retten, ich stellte mir vor, wie dankbar sie mir wäre, dass ich interveniert hatte.
Wenn es eine Sache gibt, die ich ausdrücklich empfehlen kann, dann ist es, sich selbst nie von außen vorzustellen, wenn eine Situation einzig und allein verlangt, man selbst zu sein. Ich steckte meinen Kopf durch die Tür, bereit, sie zu retten, und sah ein leeres Büro, oder vielmehr ein Büro,
von dem ich dachte, es wäre leer. Ich schaute nach unten auf den Boden und sah Maria, teilweise verdeckt, oder eher größtenteils verdeckt, von breiten Schultern, kurzen Armen, einem fleischigen Hals und einem Kopf, der sogar von hinten aussah wie eine Ananas. Marias Augen waren geschlossen, und ihre Gedanken müssen woanders gewesen sein, denn als Hellseherin hätte sie wissen sollen, dass ich da stand, selbst Leute, die keine Hellseher sind, spüren es, wenn jemand sie anschaut, aber sie war abgelenkt, ihre Gedanken waren woanders, ich blieb nur so lang, wie es nötig war, nur lang genug, bis ich verstanden hatte, was hier los war, was eigentlich auf den ersten Blick offensichtlich war, nur so lang, um sicherzugehen, was sie da machten, nämlich das, was Männer und Frauen eben tun, nur lang genug, um sicher zu sein, dass das, was da geschah, gegenseitig geschah, also ich meine, dass es kein Übergriff war, dass sie nicht angegriffen wurde. Ich blieb wirklich nur einen Moment da, um sicherzustellen, um mir hundertprozentige Gewissheit zu verschaffen, dass sie nicht gerettet werden musste. Vielleicht blieb ich sogar einen Moment länger als unbedingt nötig, ich wollte, dass Maria die Augen öffnet, ich wollte, dass sie mich da stehen sah und dass dann sofort alles aufhörte, aber sie tat das nicht, sie war ganz woanders, und sie hatte offensichtlich Spaß.
Ich ging nicht zurück zur Bibelgruppe. Ich ging in den Waschsalon. Ich schaute Klamotten dabei zu, wie sie sich in einem Trockner drehten. Worte hallten in meinem Kopf wider, etwas, was Scott Valdez gesagt hatte, als ich Maria zum ersten
Mal traf, als Maria mich um Starthilfe für ihr Auto gebeten hatte. Scott hatte gesagt, seine Worte waren, die Schlacht zwischen Gut und Böse findet überall statt, und unser kleines Einkaufszentrum war da keine Ausnahme. Ich schaute einem dünnen Mann dabei zu, wie er Sachen aus einem Drahtkorb auf Rädern herausnahm und auf einer Theke zusammenlegte. Maria und Scott, Scott und Maria, das ergab keinen Sinn, sie hassten sich doch gegenseitig, ich hatte es gesehen, ich hatte es gehört, glühender Hass. Maria hatte immer nur Verachtung und Spott für die Leuchtturmgemeinde übrig, die eigentlich Scotts eigene Einrichtung war, Scotts große Mission, seine Berufung, und Scott hatte auf noch viel härtere Art und dazu öffentlich angeklagt, was hinter Marias Perlenvorhängen vor sich ging. Aber meine Augen hatten mich nicht getäuscht, wie man so sagt. Ich konnte dem dünnen Mann nicht länger beim Zusammenlegen seiner Kleidung zusehen, ich wandte mich wieder dem Trockner zu, das passte eher zu meinen Gedanken, die sich ebenfalls im Kopf drehten, oder besser, die sich halb drehten, bevor sie sich im freien Fall befanden.
Nach einer Weile fuhr Tante Liz schließlich vor der Leuchtturmgemeinde vor und ging hinein, um mich zu suchen. Ich verließ den Waschsalon und setzte mich auf die Kühlerhaube ihres Autos. Sie kam aus der Leuchtturmgemeinde raus, sie hatte offensichtlich schon ein wenig Panik, sie dachte, ich wäre wieder abgehauen. Ich sagte ihr, ich hätte draußen gewartet und sie hätte mich wohl nicht gesehen. Dann kam Scott Valdez aus der Gemeinde raus, er war offenbar
durch den hinteren Eingang reingegangen, er kam raus und sagte zu Tante Liz, er hätte gewusst, dass ich nicht abgehauen war, er sagte ihr, ich war ein echter Gewinn für den Leuchtturm, er sagte ihr, ich würde die Bibelgruppe immer auf Trab halten. Ich schaute ihm in die Augen, in seine Augen, die viel zu nah beieinanderstanden, und ich sah nur Aufrichtigkeit, da wusste ich, dass auch Scott eine Art Doppelagent war, und noch dazu ein viel besserer Doppelagent, als ich es je sein könnte. Scott grinste mich breit an, seine Backen waren ein bisschen rot, er tätschelte mir den Oberarm. In seinen Augen lag keine Angst, nicht die leiseste Spur, ich wusste, er hatte mich nicht gesehen, und
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