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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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aufzuholen, wieder da anzufangen, wo er zuletzt unterbrochen worden war. Alles ein Vorgang, den die Menschheit nicht nachmachen konnte, nicht nachmachen wollte, es gab einfach zu viel Geschichte. Sogenannte Wissenschaftler versuchten, unentwegt die Forschung auf ihrem Gebiet zu absorbieren, aber das war hauptsächlich Papierarbeit, die Kondensstreifen des Karrierismus, Pauls Wort, und folglich standen diese Wissenschaftler auf den Schultern von Ameisen. Ich fragte Paul, was einige dieser grundlegenden Fragen waren, vielleicht konnte ich ihm von meiner aufblasbaren Matratze aus dabei helfen, sie durchzudenken, vielleicht könnten wir mit einer parallelen Prozessierung beginnen, ich benutzte diesen Begriff nicht, ich hatte diesen Begriff noch nicht von Paul gelernt, ich benutzte andere Worte, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Paul sagte mir, er schätzte mein Angebot zwar, aber er selbst wusste
noch gar nicht recht, was die grundlegenden Fragen waren, so weit war er noch nicht gekommen.

    Weißt du, Juan-George, die Leute neigen dazu, sich von komplexen Ideen beeindrucken zu lassen, aber die grundlegenden Fragen sind der schwierigste Teil, die grundlegenden Fragen sind für jeden ernsthaften Denker die schwierigste Herausforderung. Antworten kriegen den ganzen Ruhm, alle sind wild auf Antworten, doch der wahre Wert liegt in grundlegenden Fragen. Denn sobald du eine Antwort hast, bleibst du stehen, du bist fertig, aber das Leben bleibt nicht stehen, du selbst wirst zu einer Gipsfigur, und das Leben geht ab jetzt an dir vorbei, nur wenn du Fragen stellst, bewegst du dich weiter, und nur indem du die richtigen Fragen stellst, kannst du dich auch in die richtige Richtung bewegen. Oder, um es einfach auszudrücken, klar und prägnant: Du hast die Wahl, du kannst dich entweder schlau fühlen oder schlau sein.

    Am nächsten Tag schlafwandelte ich durch meine Schicht, niemand bemerkte das. Dann brachte mich Tante Liz für eine Bibelstunde zur Leuchtturmgemeinde. Das Thema war Loslassen, Gott Zulassen, und es ging darum, dass Gott für jeden von uns einen Plan hat und wie wir zwar versuchen können, uns dagegen aufzulehnen, aber am Ende müssen wir uns alle seinem Willen beugen. Ich hatte nicht gedacht, dass ich mich am Gespräch beteiligen würde, ich hatte geplant, im Kreis auf diesen unbequemen Stühlen zu sitzen und ab und zu zu nicken, während meine Gedanken woan
ders waren. Ich zählte nur die Stunden, bis ich wieder unters Dach gehen und Paul beim Denken zum Wohle der Menschheit helfen konnte. Aber etwas von dem Gespräch fand seinen Weg in mein Ohr, und all die Verweise auf Gottes Plan erinnerten mich an einen Jungen in Madera, den ich kannte, als ich jünger war. Er und ich waren Freunde, ich meine, ich war mit allen befreundet, das war, bevor ich ein Schutzschild wurde, das war, als wir noch sehr klein waren, unsere Leben fingen gerade erst an. Er hatte eine kleine Schwester, und sie spielten einmal mit ein paar anderen Kindern auf einem Weingut, und ich weiß nicht, was genau passierte, aber die kleine Schwester lief in eine Pfütze, die sich als tiefer herausstellte als gedacht, und sie ertrank, sie war zwei Jahre alt, es war furchtbar. Ich will dir nicht von jeder Tragödie erzählen, die ich je gehört habe, mach die Nachrichten an, sie passieren ständig, ich will deine Last nicht noch schwerer machen, ich erwähne Natalies Tod nur deshalb, weil, wenn Gott wirklich einen Plan für jeden von uns hat, was für ein Plan ist es dann, zwei Jahre zu leben und in einer schlammigen Pfütze zu ertrinken? Da die Geschichte schon in meinem Kopf war, erzählte ich sie in der Bibelstunde. Jens Gesicht wurde rot und sie begann, an ihren Pflastern rumzufummeln. Mark, der die Gruppe leitete, der das war, was Jay-Bee einen Vermittler genannt hätte, reagierte auf die Geschichte von Natalies Tod auf eine sehr merkwürdige Art, alle anderen sahen traurig aus, niemand hört so etwas gern, alle sahen wirklich traurig aus und machten mitleidige Gesichter, sie machten Gesichter, die mir signalisierten, es wäre in Ordnung, wenn ich jetzt emotional werden sollte, sie mach
ten Gesichter, die Unterstützung signalisierten, aber Marks Gesichtsausdruck sagte etwas völlig anderes aus. Seine perückenartigen Haare rutschten noch weiter nach hinten, er zog seine Augenbrauen hoch, und er sah aus, als ob ich ihm gerade einen Schokoladenkeks oder hundert Dollar angeboten hätte. Ich hatte etwas angesprochen, sagte er, worüber er schon

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