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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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schützte ich in Panorama City Paul Renfro. Ich stellte ihm einen Raum zum Denken zur Verfügung, ungestört von den irdischen Angelegenheiten des Alltags, seine Worte, ich war Schild und Schutz für die wertvollste Sache, der ich in Panorama City begegnet war, die zerbrechliche, schimmernde Seifenblase von Paul Renfros fortgeschrittenem Denken.

    Tante Liz war noch nicht da, als ich nach Hause kam. Ich kletterte unter das Dach in den Kriechraum, ich steckte meinen Kopf da oben durch, um zu sehen, wie es Paul ging. Er hatte an seinen Hindernissen gearbeitet, er hatte das Wesen seiner Denkhindernisse skizziert, so dass er anfangen konnte, die grundsätzlichen Fragen über diese Hindernisse zu stellen, damit er dann sein Denken vorantreiben konnte. Seine Gedanken waren ein Dickicht, sagte er, aber er hatte Hoffnung, dass er auf und ab wandern und so seinen Weg durchs Dickicht finden konnte, die Bewegung war immer noch ein wichtiger Bestandteil seines Denkens, oder der Vorbereitungen für sein Denken, sein Knöchel schmerzte, er war wirklich unglücklich gestürzt, aber die Schwellung war schon zurückgegangen, und er hatte oben ein altes Brett gefunden, das er als eine Art Krücke benutzte, um seinen Knöchel zu entlasten, während er auf den Balken auf und ab ging, es war ideal, die ganze Situation war ideal, seine Worte.
    HELIUMBALLON
    Irgendwas ist los. Der glänzende Heliumballon in der Ecke meines Zimmers, der Ballon, auf dem ich die Spiegelung von Autos und Lastwagen und ihre auf der Straße schwebenden Lichter sehe, der Ballon, der immer im Luftzug der Klimaanlage hin und her schwebt, wird rot, er glüht. Ich habe Angst, Juan-George, ich habe Angst und ich habe doch keine Angst. Der Exitus ist nicht mehr weit, das spüre ich.

    Man wird mich auffordern, eine rätselhafte Macht wird mich auffordern, all dies loszulassen, und ich werde gar keine andere Wahl haben, ich werde loslassen. Der Verkehr wird leiser, das Leuchten wird heller, das Rot glüht, mein Blickfeld verengt sich.

    Ich sehe ein helles Licht. Es ist genau so, wie ich es von anderen Leuten gehört habe. Ich will nicht gehen, Juan-George, aber ich habe keine Wahl. Sag deiner Mutter jeden Tag, dass sie die Liebe meines Lebens war.

    Es sieht so aus, als müsste ich vorerst doch nicht gehen.

    Ein paar Momente bleiben mir vielleicht noch. Ich muss dir noch was erzählen, ich habe vergessen, es zu erwähnen, ich bin wirklich zum Fitnessclub gegangen, ich ging genau zwei Wochen später wieder zurück, um das Geld aus dem Verkauf von Pauls Antioxidationscreme abzuholen, obwohl Paul
verschwunden war, obwohl ich ja eigentlich mitten in meiner klinischen Studie war, ging ich doch hin, ich schlich mich ganz allein dahin. Ich saß ein paar Stunden auf der Bank vor dem Eingang, niemand kam, aber jemand hatte einen Umschlag mit meinem Namen darauf hinterlassen, und drin fand ich einen Scheck über zwanzig Dollar, und bei Verwendungszweck stand ein Smiley, ich hatte nie die Gelegenheit, ihn einzulösen, ich weiß gar nicht, was aus dem Scheck geworden ist.

    Oh, Juan-George, das rote Glühen geht mir durch und durch, ich spüre, wie der Exitus sich nähert. Für das Leben gibt es einfach keine Gebrauchsanweisung, es gibt keine Pfeile, die darauf verweisen, was wichtig ist und was nicht, man muss sich da so durchtasten, und wenn man tausend Jahre hätte, könnte man es vielleicht allein schaffen, aber keiner kriegt tausend Jahre, die meisten kriegen nicht mal hundert, das Leben ist kurz, selbst wenn es lang ist, und deshalb müssen wir anderen Leuten zuhören, wir müssen anderen zuhören und dann auf Grundlage dessen, was wir gehört haben, selbst entscheiden, was wichtig ist und was nicht, was einfach erscheinen mag, aber in Wirklichkeit schwierig ist, denn wenn alle etwas glauben, dann ist es wahrscheinlich gerade nicht wahr.

    Deine Mutter regt sich, ich hatte gehofft, sie würde meinen Abschied verschlafen, ich wollte nicht, dass sie das erleben muss, ich schließe meine Augen, ich gehe leise.

    Ich bin da, ich bin immer noch da, der Morgen dämmert und ich bin noch da. Der Sonnenaufgang, es war der Sonnenaufgang – was ich für den Tod gehalten hatte, war der Sonnenaufgang, der sich im Ballon gespiegelt hatte. Deine Mutter ist runtergegangen, sie ist in der Cafeteria und holt sich einen Tee. Es ist schon morgen, ich habe es durch die Nacht geschafft, ich habe die Nacht überlebt, es ist ein Wunder, die Ärzte haben gesagt, ich würde es nicht schaffen. Es

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