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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Aussicht.
    Kommissar Rosen spürte es am nächsten Morgen sofort.
    Die Gedächtnislücken der Bewohner von Vredenhausen waren enorm, oder sie sangen Arien auf den guten Bob Barreis.
    Am übernächsten Tag brach in Vredenhausen das Erinnerungsvermögen völlig zusammen. Medizinisch betrachtet, arbeiteten in den Barreis-Werken nur hirnlose Wesen.
    Kommissar Rosen resignierte.
    »Hören wir auf, Dub«, sagte er zu Hauptwachtmeister Dubroschanski. »Niemand bezahlt mir die abgewetzten Absätze. Wir müssen es auf andere Weise versuchen. Vielleicht bringt eine neue Unterhaltung mit dem alten Adams noch etwas ein …«
    Es war am Vormittag desselben Tages, als ein Krankenwagen und ein grauer VW vor dem Haus des alten Adams' hielten und fünf Männer ausstiegen, zwei in weißen Klinikkitteln. Diese beiden trugen zusammengerollt ein Leinenzeug bei sich, aus dem einige Lederriemen herauspendelten.
    Ernst Adams hatte sich kalt geduscht, wie jeden Morgen, hatte seinen Kaffee getrunken und ein Brot mit Griebenschmalz gegessen, rauchte jetzt eine Zigarette und las die Zeitung.
    Er hatte ja soviel Zeit. Niemand drängte ihn, keiner wartete auf ihn, für keinen brauchte er mehr zu sorgen, niemand vermißte ihn … er lebte und war doch schon tot. Das Schicksal aller Alten, die heute älter werden, als die Jungen vertragen können.
    Wie jeden Morgen, wenn er nach dem Frühstück rauchte und Zeitung las, arbeitete sein Gehirn zweigleisig. Es nahm die Zeitungszeilen auf, und es stellte gleichzeitig den neuen Schlachtplan dieses neuen Tages auf.
    Das war die einzige Tätigkeit, zu der sich Ernst Adams noch verpflichtet fühlte: der Welt immer und immer wieder zuzuschreien, daß sein einziger Sohn nicht an einem einfachen Unfall gestorben war. Daß der schöne, reiche Bob Barreis sein Mörder war, daß dieser gelackte Bursche mit den romantischen Augen danebengestanden hatte, als sein Freund Lutz verbrannte, daß er alle belog, daß er selbst gefahren war, daß er einen Zeugen beseitigt hatte, der die unantastbare Ehre der Barreis' zerreißen konnte.
    Heute sind sie wieder in der Villa dran, dachte er. Wie nervös sie werden! Ich werde mich auf die Stufen der großen Treppe setzen und »Mörder! Mörder!« brüllen. Jetzt haben sie auch die alte gnädige Frau weggebracht, damit sie nicht aussagen kann, welchen Teufel von Sohn sie hat. Ich weiß alles, was in diesem Haus geschieht. Auch den Hellmut Hansen haben sie geholt; seit drei Tagen sitzt er auf der Direktionsetage des Werkes. Merkt er nicht, daß Haferkamp ihn nur als Marionette eingestellt hat? Daß er der Hampelmann ist, der von den tiefersitzenden Fäulnisflecken ablenken soll? Man muß es ihm sagen … das wird am Nachmittag mein nächster Weg sein. Ich werde Hellmut Hansen fragen, warum er sein ehrliches Gesicht einem Mörder leiht. Er war doch auch ein Schulfreund von Lutz, sie waren doch alle zusammen in einer Klasse, saßen nebeneinander, die Drillinge von Vredenhausen nannte man sie … Bob Barreis, Hellmut Hansen und Lutz Adams … mein armer, lieber, verbrannter Junge …
    An der Tür klingelte es. Ernst Adams erhob sich, faltete die Zeitung sorgfältig zusammen und öffnete. Fünf unbekannte Männer, zwei in weißen Krankenpflegerkitteln, standen da vor ihm.
    »Wir dürfen doch hereinkommen«, sagte der erste, ein Mann mit Goldbrille und Oberlippenbart. Ein Gesicht wie eine Robbe – Adams hätte gegrinst, wenn die plötzlich veränderte Lage ihn nicht gezwungen hätte, sich den fünf Leibern in den Weg zu stellen. Denn ohne eine Antwort abzuwarten, schoben sie sich in das kleine Haus.
    »Sie haben eine Frage gestellt, mein Herr!« sagte Adams laut. »Ob Sie hereinkommen dürfen … Ich antworte: nein! Also gehen Sie wieder hinaus!«
    Der Goldbrillenmann warf einen bezeichnenden Blick auf die beiden Kittelträger. Sie versperrten die Tür, zwei massige Gestalten, gegen die der kleine Adams wie ein Schrumpfapfel wirkte.
    »Ich bin Beamter des Gesundheitsamtes«, sagte er. »Sie sind Ernst Adams?«
    »Da Sie draußen geklingelt haben, wissen Sie, wer hier wohnt.«
    »Darf ich Sie bitten, mir zu folgen? Ziehen Sie sich einen Mantel an, mehr ist nicht nötig.«
    »Sie fragen schon wieder und bestimmen gleichzeitig. Zuerst: Nein, ich folge Ihnen nicht. Ich ziehe auch keinen Mantel an. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
    Adams wich in das Wohnzimmer zurück. Das Robbengesicht griff in die Brusttasche, entfaltete ein Blatt Papier und räusperte sich. »Obwohl Sie es doch

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