Ein Mann wie ein Erdbeben
für den lieben, kleinen Jungen, weil deine Brustwarzen zu empfindlich waren –«
»Schwein!«
Mehr sagte Mathilde Barreis nicht mehr. Aber dieses eine Wort kam aus ihr heraus mit aller Hoheit. Mit in den Nacken gelegtem Kopf schritt sie die Treppe hinunter, stieg in den großen Cadillac, der Chauffeur warf die Tür zu, rannte um den Wagen herum … dann rollte die Luxuskutsche lautlos die Auffahrt hinunter. Mathilde Barreis blickte sich nicht um. Sie war zutiefst beleidigt.
Ihre Starrheit löste sich erst, als sie wußte, daß sie das Barreis-Schloß nicht mehr sehen konnte. Da atmete sie auf, wurde eine gute, alte Frau, die sich auf den Flug in den Süden, auf das ewig in der Sonne liegende Teneriffa freute. Es war wirklich ein Aufatmen, denn sie hatte Angst vor ihrem Sohn.
Theodor Haferkamp telefonierte unterdessen mit Dr. Dorlach. Der Anwalt war in Essen und hatte mit der Staatsanwaltschaft konferiert. Allerdings mit einem mageren Ergebnis. Bob blieb in Haft, aber die Staatsanwaltschaft war sich nicht mehr ganz so sicher wie vorher. Dr. Dorlach hatte mit einem umwerfenden Beweis aufgewartet. Zwei Tage lang hatten die Parkwächter der Barreis-Werke alle Autos der Betriebsangehörigen kontrolliert, die in zwei Schichten anrückten. Das Ergebnis: Neununddreißig Wagen waren mit Pirelli-Reifen bestückt.
»Es gibt also – wenn Sie so wollen – zusammen mit Bob Barreis vierzig Tatverdächtige in Vredenhausen, wenn wir uns nur auf die Reifenspuren stützen«, argumentierte Dr. Dorlach.
Sein Zahlenmaterial war beeindruckend. Er wußte das. Der Leitende Oberstaatsanwalt versprach, die Sache mit den Herren durchzusprechen.
»Eins zu null für uns!« rief Dr. Dorlach fröhlich ins Telefon. »Was haben Sie erreicht, Herr Haferkamp?«
»Mathilde ist in der Luft Richtung Teneriffa. Jetzt werde ich meine Belegschaft auf Vordermann bringen.«
»Ist das unbedingt notwendig?«
Haferkamp nickte heftig, obwohl es Dr. Dorlach ja nicht sehen konnte. »Dieser Kommissar Rosen ist ein ekelhafter Bursche. Bei Robert muß er auf der Stelle treten … was tut er also? Er geht hausieren. Wandert von Haus zu Haus in Vredenhausen, vor allem draußen in der Werkssiedlung, und fragt die Leute aus. Erste Frage: Was für ein Mensch war Robert Barreis? Das ist empörend. Ich habe schon beim Leiter der Kriminalpolizei interveniert. So fabriziert man Rufmorde! Aber meine Arbeiter wissen, worauf es ankommt. Gleich der erste, den dieser Rosen ausfragte, rief mich sofort an. Jetzt schiebe ich dem vergnügungssüchtigen Kommissar die Straße zu.« Haferkamp trank schnell ein Glas Kognak. Neben dem Telefon standen immer eine Karaffe aus venezianischem Kristall und einige Gläser. »Wie hat sich diese Marion … Marion …«
»Cimbal –«
»Ein saublöder Name. Also, wie hat sie sich gehalten?«
»Erstaunlich gut. Rosen hat aber einen Giftpfeil in sie versenkt. Meineid und so. So etwas wirkt schleichend, und plötzlich ist der Körper verseucht. Wir müssen da etwas unternehmen.«
»Diese Cimbal auch wegschicken? Vielleicht weit weg, nach Amerika?«
»Wollen Sie von Bob erwürgt werden?«
»Es ist doch nicht wahr, daß der Junge dieses Mädchen wirklich liebt? Das gibt es doch bei Bob gar nicht! Er ist zu Liebe gar nicht fähig. Er kann nur genießen und dann den Rest wie einen leeren Pappbecher wegwerfen.«
»Bei Marion ist eine uns unbekannte und nicht faßbare Situation eingetreten, mit der wir uns abfinden müssen. Ja, wir sollten sie ausnutzen – ich sehe darin eine ganz große Chance. Bob und Marion sollten sich verloben.«
»Doktor, die schmutzige Essener Luft lagert Rückstände in Ihrem Hirn ab.«
»Noch mehr! Nach einer kurzen Zeit – noch vor dem Prozeßbeginn sollten sie heiraten!«
»Ich höre mir diesen Blödsinn nicht mehr an.«
»Als Ehefrau kann Marion Cimbal jede Aussage verweigern. Oder sie kann so euphorisch von ihrem Mann sprechen, daß das Gericht in Tränen der Rührung ausbricht. Es kommt auf die Zusammensetzung des Gerichts an … ich kenne ja alle Richter. Hat den Vorsitz Dr. Zelter, wird Marion schweigen, präsidiert Dr. Mussmann, lassen wir sie eine Liebesgeschichte hinblasen, gegen die alles Bisherige verblaßt. Sie wissen doch, wie das geht, Herr Haferkamp. Nicht allein Gesetzbuch und das Recht finden ein Urteil, sondern auch Emotionen, Stimmungen, Gefühlsregungen, Sympathien und Antipathien. Auch Richter sind nur Menschen, und wenn man sie als Menschen behandelt, nicht als lebende Paragraphen
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