Ein Mann wie ein Erdbeben
Tragödie, die er bisher laufend anderen Menschen beschert hatte. Und es erwies sich, daß der große Held Bob Barreis unter einem einzigen Hieb in seine Seele zusammenbrach. Der Verlust Marion Cimbals wurde eine Wunde, aus der er rettungslos und schnell verblutete.
Dr. Dorlach schrak hoch. Er war über seinen Gedanken und seiner Angst eingeschlafen … nun weckte ihn das Schrillen des Telefons neben seinem Ohr auf dem Nachttisch. Die Uhr zeigte halb sechs.
Mit einem Gefühl, in Eis zu fassen, hob er ab.
Düsseldorf. Das Park-Hotel. Und bevor der diensthabende Nachtdirektor noch zu Erklärungen ansetzte, wußte Dr. Dorlach, daß der Strudel begonnen hatte und alles in sich hineinsaugte.
Um vier Uhr früh hatte Marion Barreis das Hotel wieder verlassen. Dem Nachtportier an der Rezeption hatte sie einen Zettel gegeben, den dieser dummerweise erst einmal zur Seite legte, weil eine Gruppe Italiener eingetroffen war. Erst nach Eintragung und Schlüsselübergabe widmete sich der Portier dem Zettel.
»Es ist für Sie!« hatte die junge Dame gesagt.
Es war ein gültiger Scheck über hunderttausend Mark.
In großen Hotels ist man vieles gewöhnt, nichts bringt die Männer dort so leicht aus der Fassung. Wo orientalische Fürsten absteigen, hört das Wundern auf. Aber ein Trinkgeld von hunderttausend Mark hatte man noch nicht erlebt.
Als man noch beriet, was man davon halten sollte, kam die Polizei ins Haus. Aus dem Rhein hatte man ein Mädchen gezogen. Es war von der Brücke ins Wasser gesprungen, hatte sich beim Aufprall die Wirbelsäule gebrochen und war sofort tot. In der Tasche des Kleides stak noch der Hotelpaß des Park-Hotels.
»Danke –«, sagte Dr. Dorlach leise. »Ich komme sofort. Ich wende mich gleich an die Kriminalpolizei. Erstes Kommissariat, ich weiß. Und bitte absolutes Stillschweigen, meine Herren. Schließlich ist es die Gattin von Herrn Barreis junior. Ja, entsetzlich, fürwahr. Ich kann es auch nicht fassen. Ich komme sofort …«
Er sprang auf, hielt den Kopf unter den Wasserhahn, ließ den kalten Strahl über seinen Nacken zischen und spürte doch keine Erleichterung von der bleiernen Schwere, die in ihm lag. Er verzichtete auf die Rasur – und es war das erstemal, daß man einen Dr. Dorlach mit Bartstoppeln sah, jenes Musterbild der diskreten Eleganz –, rang mit sich, ob er Haferkamp unterrichten sollte, verzichtete dann darauf und war gerade ausgehbereit, als das Telefon wieder anschlug.
Bob Barreis.
»Doktor –«, sagte eine müde Stimme. »Doktor, ich flehe Sie an: Helfen Sie mir! Bitte, bitte, helfen Sie mir! Sie sind mein einziger Mensch.«
Durch Dorlach rann es glühendheiß. Nach dem eisigen Schreck vorhin war das jetzt ein Gegensatz, der ihm den Schweiß austrieb.
»Wo sind Sie, Bob?« rief er heiser.
»In Essen. Im ›Dicken Otto‹ bei der Markthalle. Kommen Sie, ich flehe Sie an, kommen Sie!«
»Was machen Sie denn im ›Dicken Otto‹?«
»Wo soll ich denn hin?« Dorlach zog die Schultern hoch, kroch wie in sich zusammen. »Ich habe doch nichts mehr … keine Heimat, kein Zuhause, keine Frau, kein Geld, keine Zukunft, kein Werk, keine Freunde, nichts.« Er weinte, wirklich, er weinte laut und ungeniert, schluchzte und schien voller Verzweiflung mit dem Kopf gegen die Wand der Telefonzelle zu schlagen. Dorlach hörte das dumpfe Krachen im Hörer. »Helfen Sie mir, Doktor! Bitte, bitte, bitte … Sie allein sind der einzige, den ich noch habe. Die Welt ist so leer … so leer … auf den Knien flehe ich Sie an: Holen Sie mich ab! Suchen Sie meine Frau, bringen Sie mich zu meiner Frau … Doktor!«
Ein Aufschrei, der Dorlach tief in die Knochen fuhr.
»Ich komme –«, sagte er und schluckte, um überhaupt einen Ton aus der trockenen Kehle zu pressen. »Bob, bleiben Sie da … ich komme Sie holen. Warten Sie auf mich. Ich … ich bringe Sie zu Ihrer Frau …«
»Sie wissen, wo sie ist?« schrie Bob im hellsten Ton.
Schnell legte Dorlach auf. Er lehnte sich an die Wand und riß dann den Telefonstecker aus der Dose. Einen neuen Anruf Bobs konnte er nicht mehr ertragen.
Ich führe ihn zu seiner Frau, dachte er, und die unerklärliche Angst vor diesem begonnenen Tag kroch wieder in ihm hoch. Er wird sie wiedersehen im Leichenschauhaus des Gerichtsmedizinischen Instituts von Düsseldorf. In einer Zinkwanne. Eisgekühlt.
Wie wird er diesen Anblick überstehen?
12
Die Fahrt nach Düsseldorf verlief fast ohne ein Wort. Bob Barreis hockte in seinem Sitz, unrasiert,
Weitere Kostenlose Bücher