Ein Mann wie ein Erdbeben
hohläugig, die Haare zerwühlt, ein Schatten nur noch der Eleganz, die ihm zu dem Ruhm verholfen hatte, ein Mann zu sein, den man aus der Seite eines Modejournals geschnitten haben konnte. Als Dr. Dorlach ihn in der Schnapswirtschaft ›Zum dicken Otto‹ gegenüber der Markthalle abholte, hockte Bob an der Theke, vor sich eine Batterie von Gläsern. Die Markthelfer, meist kräftige Burschen mit rauhen Sitten, die Zentnersäcke und Kisten davonschleppten, als seien es mit Papierschnitzel gefüllte Behälter, saßen abgesondert von Bob an der anderen Seite der Theke oder an den wenigen blankgescheuerten Holztischen, tranken ihren Korn und dazu ein Pils und beobachteten den fremden, sichtlich angeschlagenen Mann aus den Augenwinkeln. Niemand sprach Bob an … man schien zu spüren, daß sich hier das Außergewöhnliche in den ›Dicken Otto‹ verirrt hatte, dem man nicht in die Quere kommen sollte.
Erst als sie über die Schnellstraße zum Rhein fuhren, blickte Bob Dr. Dorlach an.
»Düsseldorf?« fragte er. »Marion ist in Düsseldorf? Warum denn das?«
Dorlach schwieg. Erst kurz vor dem Gerichtsmedizinischen Institut hielt er am Straßenrand. Bob sah sich um. Er begriff nichts mehr.
»Hier?«
»Nein. Bevor wir um die Ecke fahren, muß ich Ihnen etwas sagen.« Dr. Dorlach zögerte.
»Sprechen Sie endlich!« sagte Bob und suchte nach einer Zigarette. Seine Taschen waren leer, nur eine zerknüllte Packung kam zum Vorschein. Dr. Dorlach bot ihm eine Zigarette an und ließ Bob die ersten Züge gierig ohne Unterbrechung rauchen. Dann sagte er:
»Ihre Frau liegt in einem Haus um diese Ecke herum … .«
»Liegt?« Bob zuckte herum. »Ist sie krank? Verletzt? Ist da um die Ecke ein Krankenhaus?«
»Nein!« Dorlach überwand sich. Es muß sein. Herumreden hatte keinen Sinn. Nennen wir es beim Namen. »Es ist ein Totenhaus –«
»Ein –« Die Zigarette entfiel Bobs Fingern. Er faltete plötzlich die Hände, und das war eine solch verzweifelte, an ihm völlig ungewohnte, nie gesehene Geste, daß Dorlach schnell wegblicken mußte. »Doktor, ich bringe Sie um … ich erwürge Sie auf der Stelle … Doktor, das ist nicht wahr … das ist … nicht wahr … Doktor, mein Gott, mein Gott … Marion! –« Er schrie den Namen heraus, zuckte hoch, wollte aus dem Auto springen, aber Dorlach riß ihn am Rock zurück auf den Sitz.
»Erwürgen Sie mich, Bob … ich habe keine Schuld daran. Ja, sie ist tot. Heute morgen …«
»Ein Unfall?«
»Nein, sie ist in den Rhein gesprungen –«
Bob Barreis senkte den Kopf. Er umfaßte ihn mit beiden Händen und drückte ihn. Wenn er kräftiger wäre, müßte man jetzt die Knochen knacken hören, dachte Dorlach. Aber dieser Mann da hat keine Kraft mehr … er ist ein mit englischem Maßanzug drapiertes Wrack. Was Jahre der Ermahnung nicht fertiggebracht haben, das hat die Liebe zu einer kleinen, zarten Frau geschafft: Auf dem Hochgefühl des Glücks, eines Glücks, wie er es sich dachte, hackte man ihm die Gliedmaßen ab. Was hier auf dem Autopolster hockte, war nur noch ein Torso. Vielleicht mußte man ihn sogar hinaustragen und hinüberrollen zum Leichenschauhaus der Polizei.
»Ich … ich darf sie sehen?«
Eine Stimme, weltfern, entrückt, zerbrochen, gespalten. Dorlach nickte.
»Wenn Sie dazu die Kraft haben.«
»Es ist meine Frau, Doktor.« Bob Barreis öffnete die Tür. Dorlach folgte ihm sofort, aber brauchte ihn nicht zu stützen. Etwas steifbeinig, wie aufgezogen, einer modernen Laufpuppe ähnlich, ging Bob an seiner Seite um die Straßenecke. Wortlos, mit einer Kälte ausströmenden Dumpfheit ließ er alle Formalitäten über sich ergehen, das Vorzeigen des Passes, Eintragung in ein Register, telefonische Anmeldung im Leichenkeller, Hinabfahrt im Lift in die eisige Kälte des ewigen Schweigens, Betreten des weißgekachelten, nüchternen, wie ein Schlachthaus wirkenden Raumes. Der Beamte, in einem weißen Kittel, ging durch eine Isoliertür, dann hörte man das Quietschen von Laufrollen. Ein fahrbares Gestell wurde hereingeschoben, darauf stand ein Zinksarg, mit einem weißen Laken mildtätig zugedeckt. Dr. Dorlach hatte solche Gegenüberstellungen – meistens Identifizierungen – oft erlebt, und er hatte sich immer gefragt, warum man die Rollen an den Gestellen nicht ölen konnte, warum man den Tod schon von weitem durch das widerliche Quietschen hören mußte. Auch jetzt durchschnitt dieses Geräusch ihn, und er konnte sich denken, daß sich jeder Ton in Bobs Brust
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