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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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überwand seine Scheu, trat nahe an den Toten heran, suchte mit spitzen Fingern in dessen Taschen und zögerte lange, ehe er den Rock öffnete und auch die Innentaschen untersuchte. Hier fand er den Brief, und noch bevor Haferkamp ihn geöffnet und gelesen hatte, wußte er, daß dieser Morgen einer der kritischsten und auch erfolgreichsten in der Barreis-Entwicklung geworden war.
    So nahe war noch keiner der Katastrophe gewesen wie Theodor Haferkamp in den Stunden, in denen Ernst Adams, für alle verfügbar, hier an diesem Ast hing. Daß der Arbeiter Hülpe ihn und nicht direkt die Polizei alarmiert hatte, empfand Haferkamp jetzt wie ein unfaßbares Schicksal. Er beschloß, noch ehe er mit dem Lesen der letzten Worte begann, Hülpe eine Stellung als Vorarbeiter zu beschaffen und ihm eine Prämie zu zahlen. Für eine ›Idee zur Fortentwicklung und Rationalisierung des Werkes …‹, eine Einrichtung, die seit fünf Jahren in den Barreis-Fabriken existierte und jedes Jahr, mit einer feierlichen Überreichung der Prämien und einer zündenden und tief empfundenen Ansprache von Onkel Theodor ihren Höhepunkt erreichte. Was Hülpe an Verbesserungen vorschlagen würde, war eine einfache Sache. Haferkamp hatte genug kleinere Ideen in der Schublade, von der sich Hülpe eine aussuchen konnte. Auf jeden Fall stand fest, daß der Vorarbeiter Hülpe und neue Preisträger der ›werktätigen Familie‹ (auch ein Festspruch Haferkamps) von jetzt an ein treuer und verschwiegener Gefolgsmann war. Auch zur Hochzeit mit Roswitha wollte Haferkamp beisteuern. Jovialität des Chefs zahlt sich immer aus … es gibt Fesseln, die man wie goldene Reifen trägt.
    Der Brief des alten Adams' wurde zu einer kleinen, zuckenden Flamme im Kamin des Renaissancezimmers der Barreis-Villa. Erst dann, als Haferkamp auch die Aschenreste mit einem eisernen Stocher zermalmt hatte, rief er die Polizei von Vredenhausen an. Er war noch vor dem Wagen der Kripo-Außenstelle im Wald und stand neben dem Toten, als hielte er eine Ehrenwache.
    Sosehr man sich zu Lebzeiten um den alten Adams bemüht hatte, so wenig interessant war er jetzt, wo sein Tod eigentlich zu einem Fanal werden sollte. Der Polizei war die Vorgeschichte bekannt, die Einweisung in die Landesheilanstalt lag vor, die Flucht des Alten war aktenkundig – so blieb also nur noch zu klären, daß an seinem Tod kein Fremdverschulden (ein schönes Amtswort für Mord oder Totschlag) vorlag und wo Ernst Adams die vergangenen Tage über gesteckt hatte. Das interessierte auch Haferkamp brennend.
    »Trotz fünftausend Mark Prämie hat sich niemand gemeldet«, sagte er bei einem abschließenden Protokoll auf der Polizeistation. Zu dieser Stunde lag der alte Adams schon in der Leichenhalle von Vredenhausen, aufgebahrt in einem wertvollen Eichensarg, den Theodor Haferkamp gestiftet hatte. Daß solche Großherzigkeit in der Stadt bekannt wurde, dafür sorgte Jakob Himmelreich selbst. Himmelreich von der Beerdigungsfirma Himmelreich & Sohn, einziges und damit auch ältestes Unternehmen dieser Art in Vredenhausen, seit fünf Generationen darauf spezialisiert, die Mitbürger würdig unter die Erde zu bringen.
    »Ein Sarg für elfhundert Mark!« sagte Himmelreich mit der verschleierten Stimme, die sein Beruf mit sich brachte. »Begräbnis erster Klasse mit vier Riesenkerzen in Kandelabern, Maulbeerbäumen und echten Zypressen. Ein Kranz wie bei 'nem Staatschef. Und kein Auto, nee, einen richtigen alten Leichenwagen mit zwei Rappen davor. Als den der Herr Haferkamp bei mir im Schuppen stehen sah – zuletzt ist er 1932 gefahren, mit meinem Vater aufm Bock –, gab's nichts anderes mehr. ›Den nehmen wir!‹ hat der Herr Haferkamp befohlen. ›Und die Rappen beschaffen Sie auch! Oder nein, ich rufe unseren Reiterverein an, die haben zwei Zugpferde im Stall.‹ Wenn das nicht Kameradschaft ist!«
    Solche Mär machte schnell die Runde in Vredenhausen. Sie wurde bereits in den Fabrikhallen diskutiert, als Dr. Dorlach mit Bob Barreis eintraf. Theodor Haferkamp, hart im Nehmen, seit er die Barreis-Tradition pflegte, trug auch noch diese Last des ereignisreichen Tages mit einer erstaunlichen Würde. Dorlach hatte ihn von einer Tankstelle, wo sie tanken mußten, schnell angerufen und ihm mitgeteilt: »Der Scheck ist in Bobs Händen. Er wird erscheinen wie in einer griechischen Tragödie, randvoll mit Rache! Mein Rat … verreisen Sie plötzlich.«
    »Nein!« hatte Haferkamp ohne Zögern geantwortet. »Ich flüchte nicht,

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