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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Chance, in Vredenhausen das moderne Mittelalter abzuschaffen, war vertan. Es blieb nur ein Weg: aushalten, warten, das Erbe antreten, in der Stille für einen Aufbruch wirken … eine Untergrundarbeit, die Hansen zutiefst verabscheute. Er war ein klarer, offener Mensch … aber welcher Mensch mit solchen Grundsätzen kommt höher hinauf als bis zum mittleren Angestellten?
    Nach solchen Überlegungen, mit denen Hansen die Zeit bis zum Anruf aus der Barreis-Villa verbrachte, war er auch sofort bereit, die erste Linie gegen Bob Barreis zu besetzen und für Onkel Theodor die Festung reif zu schießen. Bob war der Untergrund aller Werte, die man bisher geschaffen hatte … ihn zu vernichten, still zu vernichten, war eine Aufgabe geworden. Die unauffällige Zerstörung eines Menschen aber ist eine gedankenreiche Sache, eine fast generalstabsmäßige Planung.
    Bob Barreis zog die Lippen ironisch auseinander, als Hellmut Hansen in einem korrekten dunkelblauen Anzug mitten in der Halle stand. Ein Monument der Sauberkeit. Und prompt sagte Bob auch: »Grüß Gott, Herr Saubermann! Es ist gut, daß ich dich zuerst sehe.«
    »Das habe ich mir gedacht. Wo wollen wir sprechen?«
    »In der Bibliothek. Das war mein Lieblingsplatz als Kind.« Bob ging vor, riß die Tür auf und winkte einladend in den Raum. »Hier hockte ich manchmal hinter einem Bücherregal und sah zu, wie mein Vater eines der Hausmädchen über den breiten Schreibtisch legte. Hier habe ich erlebt, wie meine Mutter den ersten und einzigen Geliebten ihres Lebens empfing … meinen Nachhilfelehrer in Physik. Anscheinend war meine Mama auch schwach in diesem Fach, und er erklärte ihr die Wirkung der Reibung. Hier habe ich mit fünfzehn Jahren unsere Putzfrau, Frau Beverfeldt, damals vierzig Jahre und mit einem Hintern wie ein Oldenburger Zugpferd, hinter das Regal für klassische Literatur gezerrt und bewiesen, daß ich nicht das Bübchen bin, als das ich immer und überall gerufen wurde. Also, mein Lieber, mein Lebensretter, mein Moralonanist … sprechen wir hier über mich!«
    Bob setzte sich in einen großen englischen Ledersessel und verschränkte die Beine. Hellmut Hansen lehnte sich an den marmorgefaßten Kamin. Er ist krank, dachte er. Man sollte ihn nicht zerstören, sondern nur isolieren. Er hat nie eine gesunde Seele gehabt … irgendwann einmal hat er sie sich wund gerieben, und so ist sie geblieben, immer gereizt, immer entzündet, immer im Fieber, eine Seele ohne schützende Haut.
    »Ich habe gehört, was mit … mit Marion geschehen ist«, sagte Hansen langsam. »Ich kann dir nachempfinden –«
    »Heuchler!« Bob sagte es mit einer vakuumgleichen Ruhe. »Ihr habt sie dahin gebracht. Nur ihr!«
    »Ich war nicht im Haus, als man Marion den Scheck gab. Ich war mit Eva zusammen.«
    »Ach ja, die schöne, sittsame Eva. Die zukünftige Frau Millionär. Die Konzernfrau. Sicherlich liebst du sie.«
    »Red nicht so dummes Zeug. Du weißt, wie ich Eva liebe.«
    »Und hundertmal, tausendmal mehr habe ich Marion geliebt!« schrie Bob plötzlich. Er sprang auf und ballte die Fäuste. »Für dich ist Eva eine Frau … für mich war Marion die Welt. Ein einziger Mensch die ganze Welt! Begreift ihr das überhaupt? Ihr wolltet mich loshaben, ihr Kammerjäger der Anständigkeit … aber nicht Pulver wolltet ihr über mich schütten, auch nicht mich vergasen, sondern mich verstecken, einfach verstecken, aus dieser Welt aussortieren, wie in der Fabrik am Band der Endkontrolle der Ausschuß in den Müll geworfen wird. Ja, ich war Ausschuß für euch. Abfall der menschlichen Gesellschaft. Aber das darf ein Barreis nicht sein! Ein Müller oder Meier oder Lehmann darf öffentlich zugrunde gehen – ein Barreis nie! Aber ich bin euch aus den Fängen gehüpft, ich habe meine eigene Welt gesucht und gefunden … und das war Marion! Hier lag eure Chance, mich für immer loszuwerden, und was tut ihr, ihr Idioten? Ihr treibt sie auf die Rheinbrücke! Zum erstenmal in seinem Leben hat Onkel Theodor den falschen Hebel gezogen. Statt eine Fallgrube zu öffnen, betätigte er seinen eigenen Schleudersitz. Das will ich ihm heute sagen – mehr nicht! Ich lebe! Ich werde weiterleben! Ich werde euch dieses Leben zu Pech und Schwefel machen, daß ihr herumlaufen werdet wie die Geteerten und Gefederten. Mit Marion wäre ich ein stiller Mitesser geworden … Jetzt habt ihr einen Kannibalen großgezogen!«
    »Zufrieden?« fragte Hansen. Bob Barreis starrte ihn mit zuckenden Backenmuskeln an.
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