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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Dachwohnung bei Hülpe ausgebaut war, durchstreiften sie in der Gegend das Unterholz, suchten sich dichte Büsche aus und empfanden es als ungeheuer romantisch, aber auch notwendig, ihre Liebe vom Gesang der Vögel und dem lautlosen Dahingleiten der Wolken umrahmt zu sehen.
    Roswitha schrie hell auf, als sie die Gestalt am Baumast hängen sah – man mußte sie sofort sehen, wenn man von der Schneise abbog … ein riesiger Zapfen, dessen Gewicht den Ast etwas zur Erde bog. August Hülpe faßte seine Braut um die Taille, zog sie zum VW zurück und tat das, was Hellmut Hansen nicht erwartet hatte: Er fuhr nicht zur Polizei, sondern zur Barreis-Villa. Es war keine Angestelltentreue, die ihn dazu trieb, sondern die Überlegung, daß dieser Wald zum Besitz von Theodor Haferkamp gehörte und man den Besitzer eher benachrichtigen soll als fremde Leute – vor allem, wenn er Haferkamp hieß.
    Butler James, der Hülpe zunächst wie einen schmierigen Regenwurm, der sich über die Freitreppe gerollt hat, betrachtete, wurde zugänglicher, als der aufgeregte junge Mann etwas von einem »Toten im Wald von Herrn Haferkamp« stammelte. Haferkamp empfing seinen Arbeiter, der zum erstenmal den Prunk bestaunte, den einige tausend Betriebsangehörige Tag für Tag erhielten und mehrten, und da ein kleiner Mann vom Lebensstil seines Chefs immer erschlagen wird, suchte er nach Worten, um die Situation zu erklären. Haferkamp, voller Ahnungen, hatte die Hand schon auf dem Telefon liegen, um Dr. Dorlach anzurufen.
    »Ich glaube, es ist der alte Adams –«, sagte Hülpe. »Ich weiß es nicht genau … ich bin nicht nahe drangegangen … aber er sah von weitem so aus …«
    Haferkamp wußte in diesem Augenblick, daß es nur Ernst Adams sein konnte. Er wunderte sich. Die alte Frage tauchte wieder auf, wo er die ganzen Tage über versteckt worden war, wer hier in Vredenhausen nicht die große Scheu vor den Barreis' pflegte, und wie es kam, daß Adams jetzt erst an einem Baum hing und damit den Kampf gegen die Übermacht des großen Namens verloren gab. »Sie haben beide heute frei«, sagte Haferkamp leutselig. »Fahren Sie ins Grüne und nutzen Sie den Tag.« Er zwinkerte Roswitha zu, und er war wieder der ›Vater der Arbeitenden‹, wie ihn der Betriebsratsvorsitzende am vergangenen 1. Mai in einer Rede genannt hatte. Da niemand dagegen protestiert hatte, schrieb Haferkamp diesen Satz in die Chronik des Werks. Ein dickes, ledergebundenes Buch, das den Aufstieg der Familie Barreis mit minuziöser Genauigkeit schilderte. Die Chronik eines beispiellosen Erfolges.
    »Sie haben gearbeitet. Ich werde den Meistern Anweisung geben, Ihnen den vollen Lohn gutzuschreiben. Und das mit der Leiche …« Haferkamp räusperte sich, »das übernehme ich. Ich rufe die Polizei an …«
    Zunächst versuchte er allerdings, Dr. Dorlach zu erreichen, aber der war auf dem Weg nach Düsseldorf. Haferkamp beschloß, den Toten zunächst allein zu besichtigen und dann bei der Polizei zu berichten, er habe Adams gefunden, als er seinen Jagdhund etwas spazieren führte. Um für diese Version Spuren zu hinterlassen, holte er die beiden Vorsteherhunde Alfi und Selma aus dem Zwinger, setzte sich in den Jagdwagen der Barreis' und fuhr in die Moränenhügel. Hülpes Beschreibung des Fundortes war präzise – Haferkamp hielt genau da, wo auch die Spuren des alten VW aufhörten, stieg aus und entdeckte nach zehn Schritten seitwärts in die Büsche den traurigen Baumschmuck. Alfi und Selma gaben Standlaut, ihre Nackenhaare sträubten sich, sie zogen an den Leinen und hechelten.
    Vier Schritte vor dem Toten blieb Haferkamp stehen. Er zog seinen Hut, hielt ihn vor die Brust und war tatsächlich einen Augenblick ergriffen vom Anblick des Alten. Dann band er die Hunde an einen Baum, trat vorsichtig näher und umkreiste den Hängenden.
    Was Haferkamp störte, war der zufriedene Gesichtsausdruck Adams'. Er hatte noch keinen Erhängten gesehen, aber nach allgemeiner Ansicht – und man liest es ja immer – muß einem solchermaßen schrecklich ums Leben Gekommenen die Zunge aus dem Mund hängen, dick und bläulich geschwollen, denn Ersticken ist eine Sterbensart, die zu den unangenehmsten gehört. Adams aber hing an seinem Strick, als schlafe er, den Kopf etwas zur Seite, die Augen geschlossen, die Lippen zusammengepreßt. Noch im Tode voller Trotz, dachte Haferkamp. Und wer so dahingeht, der macht es nicht still, der hat eine Bombe gelegt, die früher oder später explodieren wird. Er

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