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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Eiswind, die Ludon in den gleichen Wartestand auf den Frühling versetzten wie ein sibirisches Dorf in den zerklüfteten Tälern der mittleren Bergtaiga, brachten auch für Gaston genug Zeit für die Besinnung auf das Wesentliche. Hier oben hatte sich bis auf die Verlegung der elektrischen Leitung und eines Telefonkabels kaum etwas in den letzten hundert Jahren geändert. Na ja, die Straße hatte eine feste Decke bekommen, was man so fest nennt, denn nach jedem Frost sah sie wie ein Pockennarbengesicht aus; genau vier Autos gab es in Ludon, sie gehörten dem Bürgermeister, dem Pfarrer, dem Tierarzt und dem Gastwirt Jules Bérancour, einem dicken Menschen, der eine unbekannte Krankheit mit sich herumschleppen mußte, denn wie man hier oben in Ludon dick werden konnte, war ein Rätsel. Und noch eine Neuerung hatte Ludon verdaut: eine Polizeistation. Das war ein kleines neues Haus neben der Gastwirtschaft, das einzige Haus übrigens mit einem weißen Außenputz, und in ihm saß der Gendarm Louis Lafette, ein mürrischer Mann von fünfunddreißig Jahren, unverheiratet, gallenkrank und mit dem Schicksal hadernd, das ihn in dieses Bergnest verschlagen hatte. »Einer muß es ja sein!« klagte er immer. »Einer muß das Auge des Staates und der Ordnung darstellen. Daß es mich getroffen hat, geschah in einer Stunde, wo Gott schlief –« Und weil Gott geschlafen hatte, tat Lafette es ihm gleich … drei Fünftel seiner Lebenszeit lag er auf dem Sofa und träumte sich weg in wärmere, blühendere Gefilde. Was sollte auch ein Gendarm in Ludon? Hier geschahen keine Gesetzwidrigkeiten, hier war jeder der Bruder des anderen, angewiesen auf ihn wie ein Glied der Kette auf das andere Glied. Und glitt wirklich einer der Bürger von Ludon aus, dann half eine strenge Selbstjustiz und stellte die Ordnung schneller wieder her als jede staatliche Macht.
    Bob Barreis hatte sich bis zu Brillier durchgefragt. Das Auftauchen eines fremden Autos war schon eine Sensation – daß man Gaston besuchte, war eine echte Überraschung. Jules Bérancour, der dicke Wirt, rief sofort Lafette, den Polizisten, an.
    »Gaston bekommt Besuch«, sagte er atemlos. »Ein Wagen aus Monte Carlo. Ein feiner Monsieur, sage ich dir. Ein Millionär, so sieht er aus. Kommt in die Berge in einem Sommeranzug! Was hältst du davon?«
    »Warum soll Gaston keinen Besuch bekommen?« Gendarm Lafette gähnte laut ins Telefon. »Was für ein Wagen ist es?«
    »Ein kleiner Fiat.«
    »Dann ist er kein Millionär.«
    Man sieht, daß in Ludon die Möglichkeit des Tiefstapelns noch nicht bekannt war. Lafette hängte ein und wälzte sich auf die Seite.
    Brillier kam aus dem Schuppen, wischte sich die schmutzigen, verharzten Hände an seinen dicken Kordhosen ab und drückte das eckige Kinn mit den eisgrauen Bartstoppeln fest gegen den Hemdkragen. Schweiß stand ihm auf der breiten Stirn. Unter buschigen Augenbrauen blickten kleine, graue Augen auf den Fremden.
    »Monsieur Brillier?« rief Bob freundlich und stieg aus dem Wagen. Er sprach Französisch wie seine Muttersprache. Es war eines der wenigen Dinge, die Barreis gelernt und auch vollendet hatte. Wer in St. Moritz, Mégève, St. Tropez, Davos oder Cortina nicht mehr sagen kann als non oder oui, bleibt ein Außenseiter der Gesellschaft, auch wenn er auf goldenen Sätteln reitet und seine Stiefel mit Brillanten besetzt. »Ich freue mich, Sie zu sehen, Monsieur.«
    Brillier blieb stehen und musterte Mensch und Wagen. Abwehr lag in seinen grauen Augen. »Ich kenne Sie nicht, Monsieur«, sagte er. Seine Stimme war rauh wie der Fels, auf dem er geboren war.
    »Sie haben mich heute schon sehr früh angerufen, Gaston. Robert Barreis.«
    »Ach so.« Gaston wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Dabei klemmte er das Beil unter die linke Achsel. »Der Feigling, der seinen Kameraden verbrennen ließ.«
    Bob preßte die Lippen aufeinander. Kein Feigling hört es gern, als das angeredet zu werden, was er ist. »Es war ein Unfall«, sagte er zwischen den Zähnen hindurch. »Ein bedauerlicher Unfall. Wenn Sie alles gesehen haben, werden Sie wissen, daß der Wagen plötzlich schleuderte … aus der Richtung brach, über das Eis schlitterte … gegen den Felsen … und das Feuer, so plötzlich, ich war wie benommen von dem Aufprall … ich bin ja hinausgeschleudert worden … Sie haben es ja gesehen …«
    »Sie haben die Tür geöffnet und sich hinausfallen lassen, Monsieur.«
    Das hat er also auch bemerkt, dachte Bob

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