Ein Mann wie ein Erdbeben
Steuer hing und auf den das brennende Benzin zukroch, seine Schreie und Flüche und diese Augen, diese schrecklichen Augen, die ihn erst losließen, als die Feuersbrunst sie ausglühten, alles lag zwischen den Geldscheinen und Gaston, der mit dem Rücken am heißen Ofen lehnte.
»Ist es so schwer, etwas zu vergessen, was unwichtig ist?« fragte Bob Barreis heiser.
»Warum ist es Ihnen dann soviel Geld wert, Monsieur?«
Die Frage war ein Schuß in die Zwölf. Bob atmete heftig und mit Herzklopfen. »Ich habe mich einmal im Leben feige benommen, einmal nur, verstehen Sie das? Ich gestehe es … ich hatte Angst, verdammte, hündische Angst. Darf ein Mensch keine Angst haben? Sind wir alle nur Helden? Aber man verlangt von mir, daß ich ein Held bin. Ein Rallyefahrer, der ein Feigling ist … welch ein Bild! Welche Karikatur! Ich kann es mir nicht leisten, ein Feigling zu sein!«
»Aber Sie waren es, Monsieur. Und Sie waren noch mehr: ein Mörder.«
»Nein!« Bob Barreis sprang auf. »Es war ein Unfall! Wenn Sie alles richtig gesehen haben …«
»Ich habe, Monsieur.« Gaston zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Geldbündel. »Stecken Sie es wieder ein. Kaufen wollen Sie mich, so einfach kaufen wie einen Ochsen, den man später vor den Schädel schlägt, he? Was soll ich mit einem Sessel, einem Bett, einem Teppich, einem Faß Wein und einer Reise nach Grenoble?! Was ich gesehen habe, bleibt hier drin!« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die breite Stirn. »Ich verkaufe mich nicht!«
»Und was wollen Sie mit diesem blöden Wissen anfangen?« schrie Bob plötzlich und ballte die Fäuste.
»Ich weiß es noch nicht, Monsieur. Vielleicht erzähle ich es Louis.«
»Wer ist Louis?«
»Louis Lafette, der Gendarm von Ludon.«
»Was hätten Sie davon, Gaston?« Die Ausweglosigkeit ergriff Bob mit einem Würgegriff. Dieser Brillier ist hart wie die Felsen, auf denen er haust. Aber auch den härtesten Fels kann man aufsprengen. Es wurden schon Berge zerkrümelt und weggeschafft.
»Nichts, Monsieur, gar nichts. Nur ein reines Gewissen. Wissen Sie, was das ist, ein reines Gewissen? Nicht viel, die meisten haben es noch nie besessen, man kann leben ohne etwas, sehr gut leben. Wenn ein Bein fehlt, ist das lästig, ein Arm, der nicht mehr vorhanden ist, behindert, und hat man nur eine Lunge, eine Niere, einen halben Magen, ein Ohr, fünf Finger, ein Loch im Bauch, verkalkte Adern … es lebt sich schwer mit solchen abhanden gekommenen Dingen. Nur wenn das Gewissen weg ist, merkt man es nicht. Ich bin da anders, Monsieur. Ich würde das Gewissen vermissen.«
Bob Barreis steckte das Notenbündel ein. Das Geld war jetzt lächerlich geworden. Um so mehr verblüffte ihn die Tatsache, daß ein alter, krummbeiniger, vom Leben abgewandter Mann es fertigbrachte, ihn vernichten zu können. Daß es einen Menschen gab, der auf das Geld spuckte. Daß jemand einen Bob Barreis fertigmachen konnte mit einem so komischen, abstrakten Ding wie das Gewissen.
»Die Polizei wird Ihnen nicht glauben, niemand wir Ihnen glauben, ja überhaupt zuhören! Zwei Kommissionen haben den Unglücksfall untersucht und abgeschlossen, der Tote ist schon auf dem Weg nach Deutschland und wird übermorgen begraben. Der ausgebrannte Wagen liegt bereits in der Schrottpresse. Sie haben keine anderen Beweise, Gaston, als Ihre Augen! Und die wird man für altersblöd halten –« Bob Barreis kam um den Tisch herum. Gaston wußte nicht, was sein Besucher plante … er griff nach hinten zu dem Beil und schob es nach vorn. Bob lächelte säuerlich. Er ist wie ein Steinzeitmensch, dachte er, der einem Wisent gegenübersteht. »Warum wollen Sie mich verraten, Gaston?«
»Es war im Krieg, Monsieur, ja, genau 1940, in der Champagne. Die Deutschen hatten unsere Linien durchstoßen und jagten uns vor sich her wie die Hasen. Wir liefen um unser Leben. In unserem Rücken schoß die Artillerie, aus der Luft stießen heulend die Stukas herunter. Monsieur, die Hölle war das! Die einen beteten beim Laufen, die anderen weinten und schrien vor Angst. Und dann erwischten sie uns, die Granaten, hauten mitten unter uns hinein und machten Fetzen aus uns. Vor mir lief Pierre, der kleine Pierre aus Briançon, ein Apothekergehilfe, ein Jüngelchen, das noch keinen Bart hatte. Er stolperte über die Leichen und um die Trichter herum, und er weinte wie ein Kind, laut, hell, und wenn die Granaten einschlugen, schrie er: ›Maman! Maman! Hilf mir, hilf mir, Maman …‹ Da erwischte
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