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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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interpretieren.«
    Ernst Adams fuhr herum. Jenseits des Sarges, auf der anderen Seite des Grabes, stand Bob Barreis. Elegant, in einem schwarzen Maßanzug mit schwarzen Perlmuttknöpfen. In der silbernen Krawatte stak eine schwarze, große Perle. Der Glanz einer anderen Welt, von der Vredenhausen nur aus den Zeitungen erfuhr, schimmerte über das Grab. Der alte Adams streckte den Arm aus und zeigte auf Bob.
    »Dort steht er!« schrie er. »Und ich frage ihn: Kann er bei Gott vor diesem Sarg, an dem Kreuz, das vor dem Grabe steht, schwören, daß mein Junge allein die Schuld trägt? Was ist in dieser Nacht geschehen, Bob Barreis? Hier liegt dein toter Freund. Weißt du noch, wie er verbrannt ist?«
    »Das genügt«, sagte Dr. Dorlach fast feierlich. »Ich beantrage nachher die psychiatrische Untersuchung und Sicherstellung des Alten.«
    »Aber der Skandal ist da!« sagte Haferkamp heiser vor Wut.
    »Er wird nur Ihre Position festigen.« Dr. Dorlach lächelte dünn. »Wer von einem Verrückten attackiert wird, hat immer das Wohlwollen der Mehrheit auf seiner Seite.«
    Bob Barreis sah den alten Adams verkniffen an. Weißt du noch, wie er verbrannt ist … und wie er das noch wußte. Diese Augen von Lutz, der aufgerissene Mund, der Schrei: Hilf mir doch, hilf mir! Bob! Bob! Ich verbrenne. Zieh mich doch heraus! Bob! – Und dann die Flammen, die ihn auffraßen, die über ihm zusammenschlugen wie gelbe, klatschende Hände.
    Bob Barreis sah auf den Sarg. In zehn Minuten wird meine Schuld in die Tiefe gelassen werden, in einer Stunde werden zwei Meter Erde darauf liegen, dachte er. Und mit ihr wird man alles Gefühl zugeschüttet haben, das Gewissen und die Erinnerung.
    Er bückte sich, nahm das große Blumengebinde, das neben ihm auf dem Boden lag, und warf es auf den Sarg. Dann drehte er sich stumm ab und verließ das Grab. Die schwarzgekleideten Menschen bildeten wieder eine Gasse, er schritt sie entlang mit hochgehobenem Kopf und dem Blick eines Märtyrers.
    »Ein schöner Kerl ist er doch«, sagte eine Frau halblaut, als Bob an ihr vorbeigegangen war. »Mit ihm meint es das Schicksal eben gut …«
    Ernst Adams starrte auf den Blumenberg, der plötzlich auf dem Sarg seines Sohnes leuchtete. Dann streckte er den Kopf vor und schrie:
    »Dort läuft er weg! Wortlos! Aber aus dem Sarg ruft es ihm nach … aus dem Sarg … Seht, wie er rennt! Hat er noch ein Gewissen? Hat er es?«
    Er schwankte, seine Stimme überschlug sich. Der Pfarrer und zwei Studenten hielten ihn fest und führten ihn abseits in den Schatten anderer Grabsteine. Getrennt vom Grab durch eine Menschenmauer hörte er, wie man seinen Sohn hinunterließ, wie die ersten Schaufeln Erde auf den Sargdeckel polterten, die Stimme des Pfarrers: »Aus Erde bist du gemacht, zu Erde sollst du werden …« und dann die Abschiedsworte der Ehrengäste.
    Ernst Adams kauerte zwischen den beiden Studenten, die ihn noch immer festhielten, auf der Umfassung eines alten Grabes und weinte. Die Tränen rannen ihm über die Runzeln, und er faltete zitternd die Hände.
    »Mein Junge …«, sagte er noch leise. »Mein Junge, mein lieber, lieber Junge …«
    »Mußte das sein?« fragte Theo Haferkamp, als er nach seinem Blumengruß zurück zu seinem Wagen ging. Mathilde Barreis jammerte bereits hinter ihm. »Das arme Kind … das arme Kind …« Und sie meinte damit Bob. »Der alte Mann ist ja verrückt.«
    »Sehen Sie. Ihre Schwester spricht es in mütterlichem Schmerz aus.« Dr. Dorlach lächelte mokant. »Diese Meinung wird sich bald in Vredenhausen durchsetzen. Man muß beweisen können, daß das Recht auf unserer Seite ist.«
    »Doktor – Sie hat der Teufel geküßt!«
    »Und hat mich zum Anwalt der Barreis' werden lassen, Herr Haferkamp.«
    Man verstand sich und verließ mit trauernder Miene den Friedhof.
    Auf halbem Weg zur Barreis-Villa stand Bob mit seinem roten Renner und winkte mit beiden Armen, als Hellmut Hansen vor ihm auftauchte. Es schien, daß er gewartet hatte, denn vier Zigarettenkippen lagen neben ihm am linken Vorderrad. Hansen bremste und ließ den Wagen hinter Bobs Sportrakete ausrollen. Er war jetzt allein, bis auf das Mädchen, das er vor dem Begräbnis vom Bahnhof abgeholt hatte und das Bob Barreis aufgefallen war. Während Hellmut ausstieg, blieb sie im Wagen sitzen.
    Bob grinste unverschämt, als Hellmut zu ihm trat. »Du mußt dich sauwohl fühlen, alter Schwede, was?« fragte er.
    Hellmut Hansen war es gewöhnt, von Bob dumme Bemerkungen zu hören, und

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