Ein Mann wie ein Erdbeben
Todes erregte ihn innerlich mit einem Lustgefühl, wie er es schon empfunden hatte, als Lutz Adams vor seinen Augen verbrannte und der Bauer Gaston Brillier mit seinem Motorrad in die Tiefe der Bergschluchten stürzte. Es war das gleiche Lustgefühl, mit dem er liebte; wenn er verlangte, daß die Mädchen sich vor ihm wanden und Schmerzen vortäuschten; wenn sie spielen mußten, als zerbrächen sie unter seinen Händen; wenn er ihr Stöhnen und verhaltenes Schreien hörte und sich labte an den schreckensweiten Augen. Dann überflutete ihn eine heiße Welle und riß ihn mit sich, dann wurde er ein Vulkan des Genusses, ein Körper, der Flammen aus dem anderen Körper schlug.
Pünktlich um 22 Uhr parkten sie vor dem Anatomischen Institut der Universität und warteten auf den Anatomiediener. Als ein Herr in einem vorzüglichen Maßanzug über die Straße kam, drückte Tschocky kurz auf die Hupe.
»Das ist er«, sagte er.
Bob wunderte sich ehrlich. »Dieser Gentleman?«
»Warum soll ein Anatomiediener wie ein Unhold aussehen? Gianni Porza ist ein Mann, der sein ganzes Geld in Kleidung und Kosmetik anlegt.« Tschocky lachte und winkte Porza zu. »Auch ein interessanter Fall von Psychologie. Weil er immer nur zerschnittene Leichen sieht, nackte Tote, und acht Stunden am Tag in einer Wolke von Formalin und Desinfektionsmitteln lebt, flüchtet er sich privat in Maßanzüge und herbe Parfüms. So bleibt seine Welt immer in Ordnung.«
Die Übergabe des Toten erfolgte schnell, geschäftsmäßig.
Hier Ware, hier Geld. Hunderttausend Lire.
Gianni Porza überzeugte sich im Hof, daß wirklich ein Toter in der Kühlkiste lag, zahlte dann das Geld aus und schob mit Bobs Hilfe die Kiste auf einen flachen, vierrädrigen Wagen. Dann verschwand er mit ihm hinter einer großen Eisentür, auf der ›Eintritt verboten‹ stand. Das schleifende Geräusch eines Fahrstuhls kam schwach durch die Tür. Das Reich der Toten ist unter der Erde … ob begraben oder im Kühlkeller der Anatomie.
Gianni Porza war nach zehn Minuten wieder da und schob die leere Kiste in den Kombiwagen. »Das nächste Mal keinen Erschossenen«, sagte er. »Brustkorb, Zwerchfell und Lunge sind unbrauchbar für Studienzwecke. Liefern Sie bitte das nächste Mal einen intakten Toten …«
Er gab Bob und Tschocky würdevoll die Hand, rollte die Karre an die Wand des Hofgebäudes der Klinik und entfernte sich, ohne sich noch einmal umzublicken. Ein eleganter Mann mit schwarzem, gewelltem Haar, der nach einem Gemisch aus Heu und Juchten duftete.
»Das hätten wir«, sagte Tschocky, als sie vor dem Hotel, in dem sie Zimmer bestellt hatten, aus dem Wagen stiegen. »Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?«
»Jetzt muß ich eine Frau haben.« Bobs Stimme vibrierte dunkel. Seine großen, rehhaften Augen glänzten. »Du nicht?«
Tschocky schüttelte den Kopf. »Mir ist eigentlich nicht danach zumute. Verdammt, jetzt, wo alles vorbei ist, überkommt mich eine Art von Katzenjammer …« Er lehnte sich gegen den Wagen und steckte sich eine Zigarette an.
»Mir hat es gefallen.« Bob Barreis lächelte mild. Sein Engelsgesicht schien in einer Verklärung zu vergehen. »Mach's gut, Tschock. Ich fange mir ein Täubchen …«
Tschocky sah ihm nach, wie er leichtfüßig über die Straße hüpfte, ein Mann wie aus einem Bilderbuch der Schönheit. Ein paar Frauen drehten sich nach ihm um … er war ein Magnet, der das Verlangen aus den Weibern herauszog.
»Er wird unheimlich«, sagte Tschocky leise zu sich und zerdrückte die Zigarette am Kühlergrill des Wagens. »Es scheint überhaupt nichts zu geben, was ihn umwirft.«
Er fuhr auf sein Zimmer, zog sich aus, brauste sich, warf sich nackt aufs Bett und schlief schnell ein.
Bob Barreis aber verlebte die ganze Nacht in einem Zimmer der Via Scarente.
Für fünfundzwanzigtausend Lire ließ er ein siebzehnjähriges Hürchen ›tot‹ spielen. Sie mußte sich nackt auf das Bett legen, die Augen schließen, die Hände über dem Bauch falten und den Atem anhalten. Erst dann fiel er über sie her und stammelte wie ein Mensch, dem man die Zunge herausgerissen hat.
Hellmut Hansen war unterwegs nach Sizilien. Von Düsseldorf war er nach Rom geflogen, von Rom nach Catania. Nun saß er im Hotel Palazzo und wußte nicht weiter.
Dr. Dorlach hatte bis hierhin die Spur verfolgen können. Er war sofort zu den Tschockys gefahren, aber der steife Butler war selbst für fünfhundert Mark nicht bereit, mehr zu sagen als: »Es ist unter
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