Ein Mann wie Mr Darcy
gerade, er muss seinen Schal fallen gelassen haben.«
Sie blickt mich mit vollkommen ausdrucksloser Miene an. Eine Sekunde lang hätte ich schwören können,Verunsicherung in ihren Augen aufblitzen zu sehen, ein Aufflackern von etwas, doch da ist es auch schon wieder vorbei. Sie schiebt mich in die Kathedrale.
»Habe ich das? Ein Versprecher, wie dumm von mir«, erklärt sie leichthin. »Ich meinte natürlich Sie.« Und ohne weitere Umschweife drückt sie mir eine Broschüre in die Hand und verfällt in ihren Reiseleiter-Singsang. »Direkt vor Ihnen können Sie das beeindruckende gotische Kirchenschiff sehen...«
Dreizehn
I ch werde noch verrückt.
Obwohl – streichen Sie das.
Ich bin es bereits.Vollkommen, durch und durch.
Später am Abend liege ich in meinem Hotelzimmer im Bett, starre an die Decke und denke über die Ereignisse des Nachmittags nach. Es ist kurz vor elf Uhr abends, und ich versuche seit einer Stunde einzuschlafen, doch es klappt nicht. Meine Gedanken wirbeln wild umher, wollen einfach nicht zur Ruhe kommen.Was war das? Ein übernatürliches Erlebnis? Meine überschäumende Fantasie? Eine lebendig gewordene Figur aus einem Buch?
Stöhnend packe ich mein Kissen und drehe es mit Schwung auf die andere Seite, um eine kühle Stelle zu finden. Das ist doch lächerlich. Aufgewühlt werfe ich mich hin und her, was das Bett zum Quietschen bringt. Nebenan drischt Rose gegen die Wand. »Wenn Sie nichts dagegen haben, andere versuchen hier zu schlafen!«, beschwert sie sich lautstark.
Ganz toll, jetzt beschuldigt man mich auch noch, Sex zu haben. Ich hätte ja nichts dagegen, tatsächlich welchen zu haben, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Ich liege hier in meinem mit Kirschen bedruckten Kuschelschlafanzug und einer Plastikschiene im Mund, die mich davon abhalten soll, mit den Zähnen zu knirschen, und denke darüber nach, dass ich heute Nachmittag Mr. Darcy begegnet bin …
Hab ich gerade gesagt, Mr. Darcy begegnet?
Ja, und das reicht jetzt. Ich muss aufstehen.
Ich schnappe mein Stolz und Vorurteil, ziehe meine Jeans und ein altes Sweatshirt über und gehe nach unten. Im Hotel ist es still. Alles scheint schon im Bett zu liegen und fest zu schlafen, denke ich, während ich in den verwaisten Salon trotte.
Der Schein der altmodischen, mit Troddeln besetzten Lampenschirme, die perfekt in die Wohnung meiner Großmutter passen würden, und die Bilder mit den Jagdszenen an den Wänden verleihen dem Raum eine bemerkenswerte Behaglichkeit. Ganz anders als all diese hippen Hotels in New York mit ihrer minimalistisch-modernen Einrichtung im Stahl- und-Beton-Design. Hier ist es Chintz, Chintz und noch mal Chintz, denke ich beim Anblick der beiden üppig gepolsterten Sofas vor den Sprossenfenstern und des alten Ledersessels.
Wie auch immer, mir gefällt es.
Ich gehe zu dem alten Kamin hinüber, in dem ein richtiges Feuer brennt. Es ist fast ausgegangen, aber noch glimmen ein paar Holzscheite darin. Daneben sehe ich einen Stapel Zeitungen liegen. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen und komme mir wie ein völliger Banause vor. Das ist mein zweiter Tag in England, und ich habe noch nicht einmal einen Blick in eine englische Zeitung geworfen – außer in die von heute Nachmittag, aber die war beinahe 200 Jahre alt.
Hastig schiebe ich den Gedanken beiseite, greife nach der Daily Times und mache es mir in dem ledernen Ohrensessel gemütlich. Oho, sieh sich das einer an. Ich fühle mich schon beinahe wie die Dame des Hauses, denke ich belustigt. Lächelnd schlage ich die Zeitung auf und fange an, die Seiten nach etwas Interessantem durchzublättern.
›Geliebte des in die Kritik geratenen Abgeordneten sorgt für Skandal‹, ›Krankenschwestern drohen mit Streik‹, ›Millionen-Betrug aufgedeckt‹
Hm, sieht ganz so aus, als wäre kein allzu großer Unterschied zwischen den Nachrichten, ob man nun auf dieser oder jener Seite des Atlantiks lebt. Überall die gewohnte Mischung aus Unerfreulichem und Klatsch. Müßig blättere ich zu den Lifestyle-Seiten. Ich glaube, ich nehme mir lieber wieder mein Buch vor, denn ich bin gerade bei der Stelle, wo -
Spike Hargreaves.
Der Name springt mich förmlich an. Ich blinzele und sehe ein zweites Mal hin. Da, klein gedruckt, steht es; unter einem Artikel über einen irischen Schauspieler, von dem ich noch nie gehört habe. »Interview von unserem Redakteur Spike Hargreaves«. Wow, also ist er tatsächlich ein richtiger Journalist.
Die Daily Times, hm? Der
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