Ein Mann will nach oben
heißen: du oder ich?«
»Das soll heißen: du!« Karl Siebrecht ging, die Würfel waren gefallen, nun gab es kein Zurück mehr.
Vor dem Laden in der Eichendorffstraße stand der alte Busch, einen Piassavabesen, mit dem er das Trottoir gekehrt hatte, in der Hand. Er betrachtete mit seinen stumpfen Augen die beiden Reservegespanne, die vor dem Laden vorgefahrenwaren. »Nun, Vater Busch«, fragte Karl Siebrecht, »wie gefallen Ihnen meine Pferde?« Der alte Mann sah ihn an, er murmelte etwas, das nicht zu verstehen war. Dann drehte er den Besen um und hielt ihn mit dem Borstenende Karl Siebrecht hin. Der starrte verständnislos auf den Besen.
»Du sollst dir drei Haare ausreißen, Karle!« rief Rieke vom Fenster ihrer Schneiderstube. »Det bringt Jlück, meint Vata!« Sie lachte. »Ick weeß nich, Vata hat manchmal zu komische Jedanken!«
Aber Karl Siebrecht fand den Gedanken gar nicht so komisch, daß ihm an diesem Unglückstage auf der Straße Glück angeboten wurde. Er griff zu und riß drei der langen, steifen rotbraunen Borsten aus. Dann sagte er: »Danke schön, Vater Busch!« und verwahrte die Borsten sorgfältig in der Brusttasche seines Jacketts.
Der alte Busch hatte lautlos zu lachen begonnen, er lachte noch, als Karl Siebrecht in das Büro trat. Auch Fräulein Palude stand am Fenster und betrachtete die beiden Gespanne. »Sind das jetzt unsere Pferde?« fragte sie mit Entrüstung ihren Chef.
»Jawohl, das sind jetzt unsere Pferde!«
»So sind alle Gespanne?«
»Ja – so und schlimmer sind alle Gespanne!«
»Und da gehen Sie nicht auch zu einem Anwalt? Wenn Sie auch zu einem Anwalt gingen, fielen die sofort rein!«
»Wenn ich zu einem Anwalt ginge, bekäme ich einen Prozeß, keine anderen Pferde! Ich fürchte, Fräulein Palude, ich kann nicht so lange warten. – Etwas anderes: haben wir viele Anrufe von Privatkundschaft? Nicht viel? Das ist gut. Ich werde einen von den Wagen danach schicken, und neue Bestellungen werden vorläufig nicht angenommen. Darf ich mir heute Ihr Rad leihen, Fräulein Palude?«
»Selbstverständlich, Herr Siebrecht.«
Eine Weile hatte er draußen zu tun: er schickte den einen Reservewagen aus, um die Koffer der Privatkundschaft abzuholen. Gottlob, es war nur eine kleine Fuhre, die rasch erledigtsein würde. Es war ihm ein unheimliches Gefühl, nur einen Reservewagen zu haben. Er schärfte dem Kutscher ein, sich zu beeilen. Als er in das Büro zurückkam, fragte er: »Keiner von den Kutschern angerufen?«
»Keiner.«
»Holen Sie mich sofort, wenn was ist, ich gehe einen Augenblick zu Fräulein Rieke.«
Tief in Gedanken platzte er in Riekes Schneiderstube hinein, das nur notdürftig bekleidete weibliche Wesen, das dort stand, stieß einen Schreckensschrei aus. Er murmelte eine Entschuldigung und zog sich wartend in die Küche zurück. Da stand er, starrte auf den Hof und dachte an seine Gespanne, die jetzt zwischen den Bahnhöfen unterwegs waren, an diese jämmerlichen Gäule, die sich kaum auf den Beinen halten konnten und die nun schwerbeladene Rollwagen ziehen sollten. Der Reiseverkehr war maimäßig stark, es gab noch nicht sehr viel großes Gepäck, aber es gab zahlreiche Handkoffer. Am schlimmsten waren wieder die beiden Wagen dran, die zwischen Stettiner und Anhalter fuhren. Die Anschlüsse waren knapp. In den letzten beiden Jahren hatte es keinen verpaßten normalen Anschluß gegeben, das war sein Stolz gewesen … Er hielt es nicht mehr aus, dies Frauenzimmer bei der Rieke blieb endlos. Er ging aufs Büro und fragte die Palude: »Nichts?«
»Nichts, Herr Siebrecht!«
Wieder stand er und starrte auf den Hof. Der alte Busch war jetzt dabei, ihn zu fegen, er schwang den Besen in weitem Bogen von rechts nach links, von rechts nach links … Staub wirbelte auf, Apfelsinenschalen schoben sich schwerfällig zur Seite, Papier tanzte hoch … Es sah nach Sauberkeit aus, aber es sah auch nur danach aus. Schaute man genauer hin, so merkte man, der meiste Dreck wurde in die Ecken geschoben. Gerade aus den Ecken aber mußte er raus! Das war es! Er hatte es versäumt, er hatte gearbeitet, wie der alte Busch fegte, nämlich liederlich. Er hätte es nie soweit kommen lassen dürfen. Er riß das Fenster auf und schrie den alten Buschan: »Da, in den Ecken fegen! Verstehen Sie?! In den Ecken liegt der Dreck!«
»Heh –?« fragte der und legte die Hand ans Ohr, als sei er schwerhörig.
Karl Siebrecht besann sich. Er nahm aus der Tasche die drei steifen Borsten, hielt sie
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