Ein Mann will nach oben
seufzte tief und setzte sich aufs Pflaster … Zugleich wurde Karl Siebrecht vorne an der Brust gepackt und gewaltig hin und her geschüttelt. Dazu brüllte eine zornige Stimme: »Das hast du absichtlich getan, verdammter Lümmel! Kannst du denn nicht richtig fahren, du Rotzjunge du? Meine Karre hast du absichtlich angerempelt!« Es war aber wieder einmal der Dienstmann 13, Kiesow, der so schüttelte und schrie.
Kalli Flau hatte den kaum beschädigten Opa sitzen lassen, wo er saß, nämlich zwischen den verstreuten Koffern auf dem Pflaster, und war dem Freund zur Hilfe geeilt. Er faßte die Arme des zornigen Kiesow und sagte mahnend: »Hände weg von der Butter, oder es knallt!«
Zornig schrie Karl Siebrecht: »Du hast es absichtlich getan, Kiesow! Du bist ja von hinten gekommen und mir in die Seite gefahren, außerdem ist mein Karren kaputt, nicht deiner!«
»So, hast du jetzt auch einen Karren?!« schrie Kiesow zurück. »Gar nichts hast du, eine freche Schnauze hast du! So was will Koffer fahren und schmeißt sie auf die Straße! Das werde ich den anderen erzählen!«
»Darum also hast du’s getan, Kiesow!« rief Karl Siebrecht zurück. »Jetzt hast du dich aber verraten!«
Der laute Streit hatte, wie immer, einen Haufen Neugieriger angelockt, die alle Zeit hatten, stehenzubleiben und zuzuhören. Ein Droschkenkutscher zügelte vor der Koffersaat seine Rosse und sprach vernehmlich: »Na, jibt’s denn so wat?!« Eine Elektrische klingelte ungeduldig. Eine Equipage mit zwei langmähnigen und langschwänzigen Apfelschimmeln hielt einen Augenblick, und Herr von Senden schaute mit seinen dunklen Augen auf den Streit. Er legte sich aber gleich wieder in die Kissen zurück, und die Hufe der Pferde klapperten davon. Karl Siebrecht verfluchte das Schicksal, das diesen unerwünschten Mann immer herbeiführte, wenn er in Streit und Verlegenheit war. Nun nahte der Schutzmann, der Blaue mit der Pickelhaube. Noch im Gehen angelte er in der rückwärtigen Tasche seines Rockes nach dem Notizbuch. Dazu sagte er: »Weitergehen, meine Herrschaften! Hier gibt’s nischt zu kieken! Ansammlungen kann ich nicht dulden!« Er war wohl ein alter Spieß, mit einem grauen Schnauzbart und kugeligen, vorstehenden Augen, in deren Weiß sich viele rote Äderchen abzeichneten.
»Den müssen Sie aufschrieben, Herr Wachtmeister!« sagte der Dienstmann Kiesow eifrig. »Der kann ja nicht fahren! Immerzu hat er nach hinten und aufs Museum gekuckt, statt wohin er fährt! Absichtlich ist er mir in die Karre gefahren!«
»Das lügst du, Kiesow!« rief Kalli Flau zornig. »Wie kann er dir denn absichtlich in die Karre fahren, wenn er nach der anderen Seite sieht, so was ist ja Quatsch! Nein, du bist von hinten gekommen, und du bist uns absichtlich in die Seite gefahren!«
Der Wachtmeister hatte schweigend von einem zum anderen gesehen, ohne den Kopf zu drehen, nur die kugeligen Augen sehr langsam hin und her wendend. Das dicke Notizbuch mit dem Wachstuchdeckel hielt er noch ungeöffnet in den Händen. »Nun, wie ist es?« fragte er jetzt nicht unfreundlich den Karl Siebrecht. »Wer hat recht? Der oder der?«
»Ich weiß nicht!« sagte der Junge, und rascher: »Ich zeig keinen an. Wenn ich mit einem Krach habe, mache ich es mit ihm alleine aus!«
»Das ist es!« rief Kalli Flau eifrig. »Der Kiesow da hat schon mit meinem Freund auf dem Stettiner gestänkert, weil er denkt, wir nehmen ihm die Kundschaft fort. Wir sind Haifische, sagte er. Wir helfen aber nur dem Opa …«
Diese Worte richteten die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Opa, der immer noch wie traumverloren auf dem Pflaster saß. Der Stoß, der ihn hingesetzt hatte, war für seine alten Knochen zu kräftig gewesen. Jetzt aber rief er, immer noch zwischen seinen Koffern sitzend: »Jute Jungen sind det, Herr Wachtmeesta, allet, wat recht is! Die helfen ’nem ollen Mann! Die Kollegen wollen det ja nich haben, die haben mir die Jungens direktemang verboten – und wat mach ick olla Mann ohne die? Jott, und nu ist ooch meine Karre kaputt – Kiesow, det hättste nich tun dürfen, allet, wat du willst, aber det nich, die Karre nich …« Der Ton seiner Klage, fast ohne Vorwurf, einfach und schlicht der Jammer eines alten Mannes, der voller Sorgen ist, überzeugte. Beistimmendes Gemurmel ließ sich hören. Zornige Blicke richteten sich auf Kiesow.
Dem wurde langsam klar, daß dieser Hase anders als erwartet lief, sein Zorn hatte ihm einen Streich gespielt. »Soll er doch kieken, wohin er
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