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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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wisse nicht alles und vergeude seinen Zorn, um die Verfehlungen der Menschen zu bestrafen? Glaub mir, Fremder, es gibt Menschen, die nie ihre Lenden entblößt haben, nicht einmal in der Wüste, und doch wahrhaft abartig und niederträchtig sind, und dann gibt es solche, die wie Kinder mit ihrem Glied spielen, aber trotz ihrer äußeren Schande im Innersten ein gutes Herz haben.«
    Was hat dieser Mensch wohl erlebt, und was weiß er, daß er eine so ungewöhnliche Rede führen kann? fragte sich Jesus.
    Der Mann begann zu lachen. »Geh in die Bäder des Augustus, Fremder, und frage nach meinem Freund Eukolines! Er ist jung, aberweise, denn er weiß mehr über die menschliche Natur als die ägyptischen Pyramiden. Sag ihm, Thomas von Didyma habe dich geschickt und du suchest nichts anderes als deinen Frieden und die Reinigung deines Körpers! Geh nur, glaub mir!«
    »Was waren das für Worte, die du bei meinem Näherkommen von dir gegeben hast?«
    »Wie heißt du?«
    »Jesus.«
    »Jesus, Josua, ich sprach die Worte meines Meisters Apollonios. Ich war ein Jahr lang einer seiner Schüler. Ich schmachtete nach seinen Worten und berauschte mich an seinen Wundem. Ich fiel beinahe in Ohnmacht, als ich ihn in die Lüfte entschweben sah wie eine Taube. Ich liebte ihn, wenn er Kranke heilte. So manche Regel, die er mich gelehrt hat, befolge ich noch immer. Aber vergangenen Herbst verließ ich ihn eines Tages, so wie ein Blatt vom Zweig fällt. Er lehrt eine schöne Philosophie, und lange Zeit habe ich gehofft, in ihm den Messias gefunden zu haben. Aber jetzt weiß ich, daß er nur ein bemerkenswerter Mann ist. Mein Herz ist hungrig, ich strebe nach etwas anderem, der Himmel weiß, wonach. Heute habe ich ihn in der Straße der Cäsaren gesehen, zum erstenmal nach so langer Zeit. Da befiel mich große Traurigkeit, und ich ging hierher, um unter den Bäumen Trost zu suchen.«
    »Warum kehrst du nicht zu ihm zurück?« fragte Jesus. »Wenn er wirklich der bemerkenswerte Mann ist, den du in ihm siehst, dann wird er dich mit offenen Armen empfangen.«
    »Ich habe dir doch gesagt, daß ich nach etwas anderem strebe.«
    »Wonach?«
    »Wenn ich das nur wüßte! Genügt es denn zu wissen, daß es zwei Reiche gibt, das des Körpers und das des Geistes, daß Gott über letzteres regiert und daß all unsere Pläne und Werke in der materiellen Welt lächerlich sind und nur Verachtung verdienen? Mein Verstand sagt mir, daß dieses Wissen genügt, um Weisheit zu erlangen, aber die Weisheit lehrt durch sich selbst, daß auch sie nicht alles ist.«
    »Nichts ist alles«, bemerkte Jesus.
    »Ja, nichts ist alles«, wiederholte Thomas. »Auch du weißt das.«
    »Jener Apollonios hält sich also hier in der Stadt auf«, erkundigte sich Jesus.
    »Ja, willst du ihn aufsuchen? Vielleicht bist du sogar einzig und allein mit dieser Absicht nach Antiochia gekommen? Du mißtraust den Bädern ebenso wie er... Er verkündet seine Lehre in Gärten wie diesem hier und schläft nur in Tempeln, die über Nacht offenstehen, zum Beispiel im Baal- oder Schiwa-Tempel, vor allem aber im Daphne-Tempel... Daphne ist eine seiner Lieblingsgöttinnen.«
    »Daphne?«
    »Die Nymphe, die Apollo in einen Baum verwandelt hat.«
    »Du bist Jude und glaubst an eine griechische Göttin?«
    »Habe ich das behauptet? Aber es gibt Schlimmeres auf dieser Welt! Apollonios verehrt sie, ich dagegen tue es ihm nur nach. Ich hatte geglaubt, er besitzt einen Schlüssel. Aber dem ist nicht so. Oder vielleicht bin ich auch nur undankbar...« Er versank in trübsinnige Träumerei, und Jesus verließ den Garten.
    Es wurde Nacht, die Straßen aber waren erleuchtet. Jesus gelangte zur Straße der Cäsaren. Einerlei, ob man vorwärts oder rückwärts blickte, die Straße schien ohne Ende. Hunderte von Fackeln — an jeder Säule steckte eine in einem Eisenring — machten die Nacht zum Tage. Eine solche Lichterpracht hatte Jesus noch nie gesehen. Die breitesten Straßen Jerusalems waren im Vergleich hierzu nur zwielichtige Gäßchen. Er konnte sich kaum satt sehen an dieser züngelnden Glut, die goldene Funken auf die Akanthusblätter an den Kapitellen und auf das Wasser der Springbrunnen sprühte. Dann fragte er nach dem Weg zu den Bädern des Augustus. Man schickte ihn zu einer anderen Prachtstraße, der Straße des Jupiter, die, wie ihm schien, noch länger war. Endlich gelangte er an sein Ziel, doch er stand noch eine Weile unschlüssig herum, da er das Gebäude für einen Palast hielt.
    Und

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