Ein Mensch namens Jesus
in den Geschäften, die Sockel der Statuen waren mit Girlanden umwunden, weiße Tauben flatterten in der Luft wie ein großer, zerfranster Flügel, der hie und da das Sonnenlicht durchblinken ließ, Federn fielen langsam in taumelndem Flug auf die Dächer, umschwebten die verzierten Kranzgesimse, um schließlich sanft auf Zypressen, Oleander und Balustraden zu landen. Kinder sangen, Pferde wieherten, unverschleierte Mädchen gingen unter dem Geklingel der silbernen Glöckchen an ihren Fesseln vorüber und lenkten die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf ihre mit Henna gefärbten Fersen. Die Düfte des Orients durchdrangen das Nebeneinander der drei Säulenordnungen, deren Strenge sie lockerten; sie umspielten die schmucklosen dorischen Bauten, umflatterten als duftende Fahnen die männlich ionischen Kapitelle und umschmeichelten den gefälligen korinthischen Stil. Gebratener Knoblauch, Ambra und Jasmin, zerstoßener Koriander, Düfte, die kamen und gingen, ohne daß man hätte sagen können, woher und wohin. Sie kreisten um die Nasenflügel der Statuen, zogen vorbei am dicken Hintern der Matronen, würzten anzügliche Bemerkungen und begleiteten kajalgeschminkte Blicke, wenn sie blauen Augen aus Mazedonien oder auch Skythien begegneten. Antiochia war eine reiche Stadt, das stand außer Zweifel. Eine glückliche Stadt. Unbeschwert und verdorben.
Aber warum strahlte dieser Ort so viel leuchtender als die sogenannte Stadt des Friedens, Jerusalem? Hatte der Herr den Menschen nicht auch Lebensfreude zugestanden?
Zu seiner Linken erhob sich ein Baal-Tempel, zu seiner Rechten einer zu Ehren des Herakles. Jesus blieb zunächst unbedacht mitten auf der Straße stehen, doch schnell mußte er mit einem Satz zur Seite springen, um einem Gespann weißer Pferde mit goldenem Geschirr auszuweichen, das auf dem Pflaster herandonnerte, ein prachtvoller Wagen, der Ruhm und Macht zum Ausdruck brachte, darauf die braungebrannte Gestalt eines Römers, nein, eines Heroen im ehernen Panzer.
So fand er sich plötzlich vor einem Mann wieder, der vor seinem Laden saß, sich den großen Zeh seines rechten Fußes rieb und eine mit Haschisch gestopfte, zierliche weiße Tonpfeife rauchte. Er mochte wohl um die Vierzig sein, für einen der sechs nagelneuen Särge, die ganz hinten in seinem Laden an der Wand lehnten, schien er jedenfalls noch nicht reif zu sein. Jesus musterte ihn, aber der Blick des Mannes weilte bei ferneren Bildern.
»Ich suche Arbeit als Zimmermann«, sprach ihn Jesus schließlich auf griechisch an.
Der Händler kniff die Augen zusammen und sah ihn abschätzend an. »Wie lange brauchst du, um sechs weitere Särge zu zimmern?« erkundigte er sich. »Mein Lieferant ist nämlich gestern sein eigener Kunde geworden.«
»Ich schaffe einen pro Tag. Vielleicht auch zwei. Aber ich rühre keinen Leichnam an.«
»Ich auch nicht«, entgegnete der Händler. »Ich bin Jude. Ich verkaufe die Särge lediglich, das Einsargen übernehme ich nicht.« Er musterte Jesus von Kopf bis Fuß. »Hier in Antiochia leben zweihunderttausend Juden und ebenso viele Griechen und Syrier. Bei den Griechen ist die Sterblichkeit am höchsten. Zuviel Frauen und Wein. Bist du wegen der Frauen hierhergekommen oder wegen des Weins?«
»Weder noch«, erwiderte Jesus lächelnd.
»Dann bist du sicher auf der Suche nach Philosophen. In Antiochia wimmelt es von Rednern; alles Leute, die zu denken scheinen, daß die Welt nicht ein für allemal so eingerichtet sein darf, wie sie nun mal eben ist. Als wäre es möglich, Starke und Schwache abzuschaffen, alle Menschen gleichzumachen! Und wie sie reden! Wenn ihre Worte Staub wären, müßten wir binnen kürzester Zeit ersticken. Sogar unsere Rabbiner reden — ach, was sag’ ich, nichts als schwätzen tun sie. Und noch dazu auf griechisch! Alle Welt spricht Griechisch. Vielleicht spricht Gott selbst auch Griechisch, was weiß ich!«
Mißmutig blickte er auf die Asche, zu der das Haschisch im Pfeifenkopf verbrannt war.
»Komm morgen früh!« meinte er schließlich. »Wirst du auch bestimmt da sein?«
»Ich werde da sein.«
»Hast du etwas zum Essen?« Er holte eine Münze aus seiner Westentasche und gab sie Jesus. »Nimm dich in acht vor den Bädern! Sonst kannst du morgen schlecht arbeiten«, fügte er mit vertraulichem Augenzwinkern hinzu.
»Weißt du einen Platz, wo ich schlafen kann?« fragte Jesus.
»Wenn es dich nicht stört, deine Träume mit Särgen zu teilen«, meinte der Mann, »dann kannst du hier
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