Ein Mensch namens Jesus
Schatten um seine Augenhöhlen noch dunkler wirkenden Augen an, »irgendeines dieser Mädchen zur Gesellschaft aussuchen. Sie stehen zu deiner freien Verfügung.«
Der Legat seufzte abermals, während sich ein Rinnsal Schweiß durch ergraute Brusthaare und über wächserne Fettpolster einen Weg abwärts bahnte. Ob das wohl eine Falle war? fragte er sich.
»Doch jetzt werden wir uns der Abwechslung halber an den Knaben ergötzen«, sagte Herodes, nachdem sich die Mädchen mit gefalteten Händen und über die Köpfe gereckten Armen zurückgezogen hatten, in der plötzlichen Stille, die dem Höhepunkt ihrer Bewegungen folgte.
Kaum waren sie hinter dem Vorhang verschwunden, der ihre Reize einem symbolischen Tod gleich verschlang, als sieben schwarzgelockte, kaum züchtiger bekleidete Knaben die Tanzfläche betraten. Auch sie waren geschminkt. Die Musik verfiel in einen langsameren, kraftvolleren Rhythmus, der sich mehr der erwachenden, wenn auch noch ungewissen Männlichkeit der Knaben anpaßte. Sie mimten Zweikämpfe und teilten dabei Schläge aus, die nicht treffen sollten. Dann verwandelten sich die aggressiven Bewegungen in eine stolze Parade, bei der jeder Knabe seine noch unbehaarte Brust herausreckte und seine geschmeidigen Muskeln spielen ließ, während die theatralischen Schläge der Tamburine diese Poesie der Sinnlichkeit rhythmisch unterstrichen. Hierauf deuteten sie, langsam um die von den Tischen abgegrenzte Fläche tanzend, erneut Kämpfe an.
»Nun«, meinte Herodes lässig, »auch bei den Tänzern steht es dir völlig frei, dir einen auszusuchen. Du brauchst nur ihrem Meister, dem großen Kerl an der Tür dort drüben, einen Wink zu geben, wenn du dich nachher zurückziehst.«
Der Legat nickte verwirrt und nachdenklich, und nachdem die verführerisch schönen Tänzer verschwunden waren, trank er völlig geistesabwesend seinen Granatapfelsaft, den ihm der Mundschenk serviert hatte, und nahm sich von der Mandelcreme, die man ihm in einer großen Schale aus buntern Glas anbot. Wie sollte man alldem widerstehen können, fragte er sich erneut im stillen, und als hätte dieser die Gedanken seines Gastes lesen können, hörte er Herodes sagen:
»Laß dich nicht täuschen, Metellus! Dies ist nicht der Hof eines jüdischen Königs. Es gibt keinen jüdischen König. Es gibt keinen mehr, weil es auch kein jüdisches Volk mehr gibt. Ich, ich halte die letzten Überreste von König Davids Volk zusammen, Metellus. Ohne mich würden sie sich bald in erbarmungslosen Bürgerkriegen gegenseitig zerfleischen. Als Zeugnis dessen, was sie in den vergangenen Jahrhunderten einmal gewesen sind, habe ich ihnen den Tempel wiedergegeben. Und sie hassen mich«, fügte er mit trauriger Stimme hinzu. »Aber ich habe mich an den bitteren Geschmack ihres Hasses gewöhnt. Wenn du wieder in Rom bist, kannst du Cäsar Augustus sagen, daß ich Herr über Israel bin.«
Ja, dachte der Legat in seiner Umneblung, und du hast den Cäsar mit deinem Spiel ganz ordentlich an der Nase herumgeführt!
»Und wie sieht nun mein Anteil aus?« fragte Herodes unvermutet, wobei er den Legaten scharf ansah.
Ob er sich wohl beklagen würde? überlegte der Legat. Würde er darum bitten, Milde walten zu lassen?
»Mein Steueranteil«, fuhr Herodes fort. »Es ist jüdisches Geld. Ich habe ein Recht auf einen Anteil.«
Der Legat fühlte sich unsanft in die Wirklichkeit zurückversetzt. »Hast du beim letztenmal nicht alles für dich behalten?« fragte er mit trockenem Mund.
»Aber dieses Geld ist schließlich die Haupteinnahmequelle für den Staat. Damit unterstütze ich, wie du sehr wohl weißt, den Tempel, den Verwaltungsapparat und auch die Armee.«
»Ich werde das bei Cäsar Augustus Vorbringen.«
Herodes betrachtete seine Füße und spielte mit den Zehen. »Ihr müßt mir allein schon deshalb Geld lassen, weil die Juden nicht dulden werden, daß alles Rom zufällt. Beim nächstenmal könnte es sehr schwierig werden, eine Steuer zu erheben. Sehr schwierig. Drücke ich mich klar genug aus?«
Der Legat nickte.
»Du mußt Cäsar Augustus das bei deiner Rückkehr eindringlich klarmachen. Ich schlage vor, daß ihr mir die Hälfte laßt.«
»Und wieviel wird die Hälfte sein?« fragte der Legat.
»Die Hälfte ist eben die Hälfte«, erwiderte Herodes und erhob sich schwungvoll. Weder Alter noch Wohlleben, geschweige denn der Wein schienen seiner Behendigkeit Abbruch getan zu haben. »Ich pflege früh schlafen zu gehen«, sagte er zum Legaten,
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