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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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seltsam eckig geschnittenen Krausbärten, den ebenfalls krausen und mit Öl eingeriebenen langen Haaren und den ringbeladenen Händen. Sie waren gerade dabei, ihr Gepäck aufzuschnüren. Einer von ihnen bemerkte den neugierigen Zaungast. Er lächelte und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Der Knabe erstarrte vor Schreck. Die anderen lächelten ebenfalls. Welch lange weiße Zähne sie doch hatten!
    »Komm her, Junge!« sagte einer der Parther auf aramäisch. »Wie heißt du?«
    »Samuel.«
    »Nur herein, Samuel!«
    Der Parther nahm eine kandierte Dattel aus einer Schale und hielt sie dem Knaben lächelnd unter die Nase. Da konnte man doch nicht widerstehen! Der Sohn des Gastwirts griff kurz entschlossen danach und kostete. Ein eigenartiger Geschmack. Und was war das für ein scharfer Duft?
    »Ingwer«, antwortete ein anderer Parther.
    »So etwas habe ich noch nie gegessen«, sagte der Knabe, noch immer unter dem Fenster. »Warum seid ihr nach Jerusalem gekommen?« Das Lächeln der drei verwandelte sich in belustigtes Lachen. »Wenn du hereinkommst, sage ich es dir«, meinte der rundlichste der drei Parther mit näselnder Stimme.
    Der Knabe lief um das Gebäude herum und betrat die nach Gewürzen duftende Welt der Reisenden.
    »Wir sind hier auf der Suche nach einem neuen König«, erklärte ihm der dickleibige Parther.
    »Wird Herodes denn sterben?« fragte Samuel.
    »Wir alle sterben eines Tages. Zeichen am Himmel kündigen uns an, daß ein neuer König kommen wird. Er dürfte wohl bald geboren werden, wenn es nicht vielleicht sogar schon soweit ist.«
    »Zeichen am Himmel?« wiederholte Samuel.
    »Setz dich!« sagte der Parther. »Und nun sieh her! Ich gehe jetzt um dich herum.« Langsam bewegte er sich um Samuel herum. »Stell dir vor, du wärst die Sonne, und ich wäre der Zodiakus! Nur daß der Zodiakus die Sonne nicht so schnell umkreist. Er braucht sechsundzwanzigtausend Jahre für eine volle Umdrehung. Weißt du überhaupt, was der Zodiakus ist? Das ist ein riesiger Kreis. Dieser Kreis ist aufgeteilt in zwölf Bereiche, von denen jeder einzelne bestimmten Sternen zugeordnet ist. Diese Sterne sind außerordentlich wichtig, sie bestimmen das Geschick aller Menschen. Jeder dieser Sterne spielt diese Rolle auf seine Weise jeweils über zweitausend Jahre lang. Zum Beispiel wurden wir bisher von Varak, dem Tierkreiszeichen des Widders, beherrscht, jetzt aber treten wir in das Zeichen des Mahik ein...«
    Samuel sollte das Ende dieser Astrologiestunde nicht zu hören bekommen. Nie sollte er den Unterschied zwischen der Herrschaft Varaks und der Mahiks erfahren, und auch nicht, welche Zeichen der Sternkundige am Himmel entschlüsselt hatte. Urplötzlich wurde er von seinem Vater am Kragen gepackt und dem Vortrag des Parthers entrissen, nachdem der Wirt eine Litanei von Entschuldigungen vorgebracht hatte.
    »Er hat uns nicht gestört«, sagte einer der Parther, »laß ihn nur nachher wiederkommen!«
    »Varak! So ein Unsinn!« schimpfte der Wirt los, sobald sie außer Hörweite waren. Er zog Samuel die Ohren lang. »Daß ich dich nicht noch einmal im Zimmer von Gästen erwische!«
    Die Astrologiestunde aber sollte dennoch ihre Fortsetzung finden, wenn auch vor einer anderen Zuhörerschaft.
    Noch am darauffolgenden Tag fanden sich die Parther, zwischen den Höckern ihrer Kamele sitzend, vor dem großen Tor des Palastes Herodes’ des Großen ein, wo sie den Wachposten in aller hoheitsvollen Schlichtheit zu verstehen gaben, daß sie den König zu sehen wünschten. Einer der Wachsoldaten wurde im Laufschritt in den Palast geschickt; indessen bestaunten die anderen wie auch die Passanten auf der Straße die Fremden mit ihren hohen, dunklen Filzhüten, den vergoldeten Ledersandalen und ihren weiten, reichbestickten Umhängen. Die Einwohner von Jerusalem bildeten sich in der Regel einiges darauf ein, so ziemlich allem, was es an Tier- und Menschenrassen gab, bereits begegnet zu sein, doch hatten sie sich einen ausgeprägten Sinn für alles Malerische und Originelle bewahrt. Wenig später kehrte der Soldat in Begleitung eines Kammerherrn zurück. Gerade da fiel es den Kamelen plötzlich ein, ihren Darm zu erleichtern. Doch die Parther ließen sich von den übelriechenden, ungelegenen Haufen nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen nahmen sie den Kammerherrn in Augenschein und stellten ihm dann die Frage, die in ähnlicher Form ihm selbst auf den Lippen lag: »Wer bist du?« Erst als sie sich vergewissert hatten, daß sie es mit

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