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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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heißt Einwohner Persiens. Und tatsächlich sind sie die einzigen unter den Juden, die mit den Persern eine gewisse Vorstellung von einem mit Engeln bevölkerten Himmel gemein haben. Ebenso wie die Perser haben sie die Engel in eine ziemlich komplexe Hierarchie von Erzengeln, Cherubinen und Seraphimen eingeordnet, was Samariter und Sadduzäer gleichermaßen verächtlich verwerfen.«
    »Engel?« wiederholte der Legat rülpsend.
    »Ja, Engel. Überirdische Wesen in der Gestalt von Menschen, doch vermutlich geschlechtslos. Auf dem Rücken haben sie Flügel«, erklärte Herodes. »Jedenfalls gelten die Pharisäer jetzt ganz und gar als Juden. Sie behaupten sogar, einen besonderen Platz unter den Juden einzunehmen. Erstens betrachten sie sich als die einzigen, die treu am Gesetz Moses’ festhalten. Und zweitens erheben sie Anspruch auf die Rolle der direkten Übermittler des Gesprochenen Gesetzes des Propheten Esra und der Priester des ersten Tempels... Ich lese in deinen Augen, daß du nicht weißt, was das Gesprochene Gesetz und das Geschriebene Gesetz ist.«
    »Du liest ganz richtig«, gestand der Legat, während er auf der Liege eine der Verdauung förderliche Haltung suchte.
    »Das Geschriebene Gesetz, das wir auch das Gesetz Moses’ nennen, ist in einem unserer ältesten Bücher, dem >Deuteronomium<, enthalten. Es gibt jedem Juden genaue Anweisungen darüber, was man in allen möglichen Situationen des Lebens zu tun hat. Allerdings ist das Leben, was auch die Römer sehr wohl wissen, immer unvorhersehbar. Zum Beispiel verfügt das >Deuteronomium<, daß >ein einziger Zeuge nicht genügt, um einen Menschen, gleichgültig welchen Verbrechens oder welcher Sünde, zu beschuldigen: Die Anklage muß sich auf die Aussage zweier oder dreier Zeugen stützen<, was zur Vermeidung von Verleumdung und von zweifelhaften Prozessen erheblich beiträgt. Doch stell dir vor: Einer der beiden Zeugen stirbt, bevor er ausgesagt hat. Was dann? Den Schuldigen unbestraft lassen? Und gerade in solchen Fällen ist das Gesprochene Gesetz von Nutzen.« Frischer Granatapfelsaft wurde serviert. »Probier davon!« sagte Herodes. »Das hilft der Verdauung.« In einem Zug leerte er seinen Kelch, und der Legat tat es ihm nach. Dann wurde dem König und seinem Gast das gebratene Lamm auf einem riesigen silbernen Tablett präsentiert. Der Römer seufzte, als ihm der Duft von Safran und Schalotten in die Nase stieg. Er war schläfrig, er hatte viel mehr gegessen, als er gewohnt war, und auch zu üppige Gerichte im Verhältnis zu seiner eher spartanischen Gewohnheit. Eigentlich wäre es angebracht gewesen, jetzt beim Lamm einen Riegel vorzuschieben; und doch, er hielt es nicht für nötig, sich bei einer so ungeeigneten Gelegenheit Willensstärke abzuverlangen. Schließlich war er ja Gast eines Königs, und das kam nicht alle Tage vor. Also nahm er sich vom Lamm und auch von den Aronstabwurzeln, die ihn lockten. Und was das wohl für schwarze, nagelähnliche Stückchen im Fleisch waren? Ah, Gewürznelken! Diese seltenen Gewürznelken! Und jene kleinen schwarzen Körner in der Soße? »Wacholderbeeren«, erklärte Herodes. Der Legat schwelgte im erlesenen Gefühl von Macht und dekadentern Wohlleben, so erlesen wie diese Gewürze, welche die Schmackhaftigkeit der Speisen steigerten. Mit der freudigen Erregung eines jungen Mannes, der zum erstenmal die Brüste einer Frau berührt, griff er nach einer Aronstabwurzel. Auch ein wenig über den Durst hatte er getrunken; er strahlte rundherum vor Glück und Zufriedenheit. Das Wurzelstück zerging ihm auf der Zunge und verströmte die scharfe Süße wilder Zwiebeln, kombiniert mit der delikaten Herbheit der Wacholderbeeren. Zum Teufel mit den Juden!
    »Die Pharisäer«, sagte Herodes, unterbrach sich aber, um sich eine Faser Lammfleisch aus den Backenzähnen zu fischen, »die Pharisäer also sind in erster Linie eine Kaste von Schriftgelehrten. Sie sind die Spezialisten in der Interpretation der beiden Gesetze, und da diese Gesetze die Pfeiler des jüdischen Glaubens bilden, sehen sich die Pharisäer als Hüter der jüdischen Nation. Leider«, fügte Herodes in bedrohlichem Ton hinzu, »mischen sie sich auch in die Politik ein. Eine ganz und gar beklagenswerte Neigung.«
    Diese Worte weckten fern im Gedächtnis des Legaten schlummernde Erinnerungen. Er wandte dem Gastgeber seinen feuchten Blick zu und bemühte sich, seinen Stirnfalten einen gestrengen Ausdruck zu verleihen.
    »So hatten sie beispielsweise die

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