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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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der Zeiten war — gegenüberzustehen, als der Gedanke, einem Fremden aus der Klemme helfen zu müssen.
    »Ich bin nicht der Messias«, antwortete Jesus ungeduldig. »Schließ doch endlich die Tür und sag mir, ob es hier einen zweiten Ausgang gibt, den man von der Werkstatt aus nicht sehen kann.«
    Die Menschenansammlung draußen auf der Straße artete allmählich in regelrechten Aufruhr aus.
    »Ganz am Ende, im hinteren Raum ist eine Tür«, gab der Schuster zur Antwort. »Und sie sagen wirklich alle, daß du der Messias bist?«
    »Möge der Herr dir an meiner Stelle antworten«, rief Jesus noch über die Schulter, bevor er in die angegebene Richtung davonstürzte.
    »Im Namen Gottes, segne mich!« schrie der Schuster. »Einen Segen, nur einen, ich flehe dich an!«
    »Ich segne dich!« brüllte Jesus zurück, während er eilig die Tür hinter sich zuschlug.
    Der Schuster aber kniete am Boden, wo er Gefahr lief, von der hereinströmenden Menge niedergetrampelt zu werden, und schlug sich jubelnd an die Brust: »Der Messias hat mich gesegnet!«
    Die Tür führte auf ein Gäßchen hinaus. Jesus drückte die erstbeste Tür auf, die sich ihm bot, und zog sie hinter sich zu. Er hörte, wie die Menge auf der Suche nach ihm in die Gasse strömte und »Messias! Messias! Wo bist du?« schrie. Manche jammerten: »Gib uns doch ein Zeichen, im Namen des Herrn!« Sie polterten an alle Türen des Gäßchens. Er bekam es mit der Angst zu tun, denn über kurz oder lang mußten sie ihn finden. »Er ist zum Himmel aufgefahren!« rief einer, und ein anderer: »Der Tag ist gekommen! Der Tod ist besiegt! Bereut eure Sünden, denn der Tag ist gekommen! Der Messias weilt unter uns!«
    Jesus wich zurück in den dunklen Flur und sah sich nach einem sicheren Unterschlupf um. Da tauchte plötzlich am Fuße einer Treppe eine verschleierte Gestalt auf. Fast bedrohlich wirkte sie im Gegenlicht des Fensters hinter ihr. »Willkommen in meinem Haus«, sagte sie endlich. Es war die Stimme einer älteren Frau, die nur gebrochenes Aramäisch sprach. »Es ist bei mir nicht üblich, daß meine Besucher lange um Einlaß bitten müssen. Und wenn du nichts dagegen hast, mit einer dir unbekannten Frau zu sprechen, dann komm doch herauf, um dich ein wenig auszuruhen.«
    Als er näher trat, drehte sie sich um und stieg die Treppe hinauf. Im oberen Stockwerk angelangt, wandte sie sich ihm erneut zu. Es ließ sich nur noch erahnen, daß sie in jungen Jahren einmal eine Schönheit gewesen sein mußte. Ihr Gesicht war faltenzerfurcht, ihre mit Ringen bedeckten Hände ausgedörrt und hager. Aber so klein und vom Leben gezeichnet sie auch war, ihre ganze Haltung zeugte ohne Frage von der Autorität, die sie in ihrem Leben ausgeübt hatte.
    »Du bist Jesus, nicht wahr?« sagte sie, während sie, ohne eine Antwort abzuwarten, ihrem Besucher in einen großen Raum voranging, dessen Mobiliar aus etlichen Diwanen bestand und dessen Wände mit gestickten Wandbehängen und Leopardenfellen bedeckt waren.
    Der gesamte Raum jedoch wurde beherrscht von dem Standbild einer Frau mit stolzen Gesichtszügen, deren Nacktheit von einer Vielzahl von Brüsten gewissermaßen verdeckt wurde. Zwei schwarze Sklavinnen schienen weniger in den Diensten der Hausherrin zu stehen als vielmehr in denen der Statue. Weihrauch und Sandelholz brannten unterhalb des Sockels, Blumen und Früchte lagen am Boden verstreut.
    »Ich heiße Kadath«, sagte die Frau, während sie sich setzte, »und die Statue, die du eben betrachtest, stellt die große Göttin Astarte dar.« Sie bewegte ein Glöckchen, worauf eine dritte Sklavin, noch ein Kind, mit entblößtem Oberkörper erschien. Kadath wies sie an, ihnen Met und kandierte Früchte zu bringen. »Setz dich doch«, lud sie Jesus ein. Sie selbst ließ sich in die Kissen ihres Diwans zurücksinken und ordnete um sich her die Falten ihres mit einem dunklen Rankenmuster bedruckten Kleides. Es war aus Rohseide, wie Jesus bemerkte. Dergleichen hatte er schon einmal gesehen, sie wurde aus einem dicken Gewebe gewonnen, das man aus China bezog, zerfaserte und zusammen mit Flachsfasern neu verwebte. Welche Extravaganz und welch ausgeprägter Hang zum Luxus! Und doch wußte Kadath mit Sicherheit, daß nur noch der Tod für ihre Verführungskünste empfänglich sein würde. Was von ihrem Körper übriggeblieben war, verschwand in den geschickt zurechtgelegten Falten des Kleides. Jesus setzte sich steif in die Kissen seines Diwans. Ob sie wohl, wie Saphira, eine zu

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