Ein Mensch namens Jesus
Rückstände, es ist Wein, der sich in Sirup verwandelt hat, weil infolge der Wärme auf dem Schiff aus den neuen Krügen zuviel verdunstet ist. Füllt einen Krug mit Wasser und gebt mir einen Stock!« sagte Jesus, der sich erinnerte, auf seinen Reisen schon von derart eingedicktem Wein gehört zu haben.
Man füllte einen Krug; Jesus löste den Satz am Boden mit Hilfe des Stockes auf, den man ihm gebracht hatte. Der Mundschenk blickte skeptisch drein. Dann verlangte Jesus von diesem gestreckten Wein zu kosten; er war zwar viel leichter als der erste, der viel zu alkoholhaltig und zu dickflüssig gewesen war, aber er war durchaus trinkbar. »Hast du nie zuvor griechischen Wein serviert?« fragte Jesus den Mundschenk.
»Um ehrlich zu sein, Herr, nein. Ich empfehle immer die Weine aus Galiläa und Syrien, die in Ziegenschläuchen geliefert werden und wenig Rückstände enthalten. Es ist das erstemal, daß ich Wein aus Krügen serviere. Aber unsere Herren haben darauf bestanden, daß man griechischen Wein serviert, weil er seltener ist.«
Jesus reichte dem Mundschenk seinen Kelch, und der probierte von dem gestreckten Wein. Er trank einen Schluck, hob die Augenbrauen und erklärte den Trank für durchaus annehmbar. Angesichts des angetrunkenen Zustands der meisten Gäste, meinte er ein wenig ironisch, könnte ein etwas leichterer Wein nicht schaden. Und nachdem er den Bediensteten aufgetragen hatte, mit den Rückständen in den übrigen Krügen so zu verfahren wie mit dem ersten, verbreitete er sich in Lobpreisungen über das Wissen seines Helfers, ohne den das Fest verdorben gewesen wäre.
Alle sahen neugierig dem Gespräch zwischen Jesus und dem Mundschenk zu, ohne recht zu erkennen, was sie taten, da die beiden unter den Arkaden standen, in jenem Bereich, der den Dienern vorbehalten war. So wußte auch niemand etwas über den Ausgang der Unterhaltung. Als wenig später die Bediensteten die Kelche der Gäste neu füllten und mit dem des Rabbis anfingen, erhob sich unter den Anwesenden ein Gemurmel.
»Woher kommt dieser Wein?« fragte der Rabbi alarmiert.
Dieselbe Frage kam aus vielen Mündern.
»Dieser Mann hat mich reines Wasser in die leeren Krüge gießen lassen, und es hat sich in Wein verwandelt«, erwiderte der Mundschenk geheimnisvoll.
Das Gemurmel wurde zum Geschrei, und der Rabbi erblaßte. »Herr!« rief Jakob. »Dein Gesandter hat mein Haus gesegnet!« Der Vater des Bräutigams ließ laut vernehmen, daß das Wasser sich am Tage der Hochzeit seines Sohnes in Wein verwandelt habe, was auf eine zahlreiche Nachkommenschaft schließen lasse. Dann ging er zu Jesus und küßte ihm die Hände. Die Frauen schwatzten laut und scharten sich um Maria. Das Wort »Wunder«, das zunächst nur schüchtern über allem schwebte, verwandelte sich zu einem Summen, das wie ein Bienenschwarm über der Festversammlung dröhnte. Eine große Feierlichkeit breitete sich aus, und für Scherze, wie sie sonst üblich waren, und situationsbedingte Anzüglichkeiten war kein Platz mehr. Man servierte wieder reichlich Wein.
Thomas, der schon eingeschlafen war, wurde wie die anderen Jünger unsanft geweckt. In das Spektakel blinzelnd, fragte er: »Was ist los? Was geht hier vor?« Da wiederholte der Mundschenk seine Geschichte ungerührt zum zehntenmal. Der Rabbi hatte sich mit einigen Anhängern abgesondert, die Frischverheirateten blieben bei Jesus und reichten ihm vorsichtig ihre Kelche.
»Alle servieren doch normalerweise zuerst den besseren Wein«, meinte Jesus, »und warten, bis alle Gäste betrunken sind, um dann den zweitklassigen Wein zu servieren. Aber ihr habt den besten für den Schluß aufgehoben.«
Nur Thomas nahm das Augenzwinkern wahr, das ihm galt.
»Das ist nicht mehr mein Wein«, sagte Jakob, »das ist der Wein des Himmels. Ein größeres Hochzeitsgeschenk wurde noch niemals gemacht.«
Jesus nickte. Müde verabschiedete er sich von seinen Gastgebern und seiner Mutter. Als er ging, hörte er, wie der Bräutigam den Psalm rezitierte, den er so gut kannte: »Der Herr ist mein Hirte / Mir wird nichts mangeln...«
Die Jünger, die Jesus folgten, verlangten eine Erklärung.
»Ich habe Wasser in Krüge gießen lassen, die sie für leer hielten«, antwortete Jesus.
Am nächsten Tag summte ganz Kana von Berichten über das, was man mit immer größerer Gewißheit als Wunder beschrieb. Drei Tage später begann für den Rabbi Perez jene Periode der Schlaflosigkeit, und sein Kollege, der Rabbi Isaak, begann sich zu
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