Ein Mensch namens Jesus
fragen, was in seinen Söhnen vorging.
»Galiläa ist erobert!« rief Simon aus.
»Und du hast nur dem Satz reines Wasser beigefügt?« fragte Natanael noch einmal.
»Was macht denn Jokanaan am Jordan?« meinte Jesus daraufhin. »Er gießt Wasser auf den Satz der Seelen.«
Wieder einmal wurde das Maultier mit Geschenken beladen, und wieder einmal zogen Jesus und seine Jünger weiter nach Norden. Die Luft schien heiß vom Wettstreit des Thymians und des weißen Heidekrauts entlang der Straße. Philippus und Thomas hingen ihren Träumen nach, während Andreas und Simon den Zug anführten. Natanael sang. Als er an den Streich dachte, den er dem Rabbi gespielt hatte, lächelte Jesus. Solche Halunken erlagen nur der Angst, der Ausschweifung und der Gier; er hatte sich der Angst bedient. Er würde öfter zu ihr Zuflucht nehmen müssen.
VII.
Unterhaltung in einer Taverne
Sie erreichten Kafarnaum mit einem Gefühl, das gleichzeitig an Trunkenheit und Unbehagen erinnerte. Der Weg, der vor Jesus und seinen Begleitern lag, schien breiter zu werden. Die Hindernisse — Mißtrauen, Feindseligkeit der Rabbiner und ihrer Anhängerschaft, Zweifel über die Tatsache, daß Jesus der Messias war — fielen mühelos. Auf ihrer Reise in den Norden war Jesus als ein Mensch empfangen worden, den man schon lange erwartet hatte, und keiner schien sich mit dem bevorstehenden Ende aller Zeiten aufzuhalten, das, wie Jokanaan sagte, die Ankunft des Messias voraussagte. Wie weit sollte er gehen? Würden sie Jerusalem einnehmen, wie man eine reife Feige pflückt?
Jesus, der müde von der Reise und den Menschenmengen war, hatte sich nach einem Mahl aus geronnener Milch und Salat zum Schlafen zurückgezogen. Maria, die ihnen gefolgt war, weil sie kein richtiges Zuhause hatte, war dabei, Wäsche mit Holzasche zu reinigen, um sie am nächsten Morgen zusammen mit der Frau des Wirtes zu spülen. Die Frauen kannten sich von früher, und ihr Gespräch zog sich bis tief in die Nacht hinein. Simon, Andreas, Thomas, Philippus und Natanael, die nach dem Mahl allein geblieben waren, tranken in der Taverne Wein und wollten noch nicht schlafen. Es war das erstemal, seit sie sich begegnet waren, daß sie ohne Jesus beisammensaßen, und es war eine neue Erfahrung für sie.
»Diese Geschichte in Kana...« sagte Philippus, als denke er laut. Ihre Blicke trafen sich; sie hatten ihre Gedanken nicht von dem lösen können, was Philippus hartnäckig »diese Geschichte« nannte. »Nun, sie scheint seinem Ruf mehr genützt zu haben als die vorigen Wunder. Ihr habt es ja gemerkt, alle wußten davon.«
»Warum nennst du das eine >Geschichte« fragte Thomas.
»Ich will damit sagen...« stammelte Philippus und fügte, als er sich wieder fing, hinzu: »Nun, war es denn wirklich ein Wunder?«
»Was ist ein Wunder?« fragte Natanael. »Es hängt vom Betrachter ab. Für den Allmächtigen, so nehme ich an, ist alles ein Wunder oder nichts, da alles nach Seinem Willen geschieht.«
»Schließlich hat er uns gesagt«, beharrte Philippus, »er habe nichts anderes getan, als Wasser auf den dicken Satz des griechischen Weines gegossen.«
»Du hättest das nicht gemacht«, erwiderte Andreas. »Es war wie ein Wunder, also nenne ich es auch ein Wunder.«
»Aber Gott war dabei nicht im Spiel«, meinte Philippus.
»Woher weißt du das? Du hast selber gesagt, daß nichts ohne Seinen Willen geschieht. Die Hand Gottes war sicher da, weil es genau dann passiert ist, als es passieren mußte.«
»Das ist es also«, sagte Natanael. »Es ist ein Wunder, weil es passiert ist, als es passieren mußte. Ich bin nicht sicher, ob das meiner Vorstellung von einem Wunder entspricht.«
»Keiner verpflichtet euch, daran zu glauben, euch beide«, warf Simon ein. »Wenn ihr nicht glaubt, daß Jesus der Messias ist und Wunder vollbringt, könnt ihr euch beim Hohenpriester in Jerusalem beschweren!«
»Ich werde nicht mehr darüber reden«, gab Philippus nach.
»Um so besser«, sagte Simon. »Wir sind keine griechischen Philosophen.«
»Was man noch abwarten muß«, meinte Thomas, »ist, ob alle Jesus als den Messias empfangen werden. Und was sollen wir antworten, wenn man uns fragt, was genau ein Messias ist?«
Simon wurde rot. »Was heißt das?« fragte er mit vor Empörung erstickter Stimme. »Willst du damit sagen, du weißt nicht, was ein Messias ist? Oder daß die Leute es nicht wissen?«
»Nun«, sagte Thomas, »darf ich dich daran erinnern, daß du nicht unser Anführer
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