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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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nur einen anderen bewundern kann. Und doch rührte er mich nicht! Er hat mir über die Welt mehr beigebracht, als ich in mehreren langen Leben erfahren hätte können. Wie manche Elemente sich in andere verwandeln können, wie das Feuer vulkanische Materie aus jedem Gegenstand heraustreibt und wie man ein Fieber von einem anderen unterscheidet, auch wie man Fieber senkt, zum Beispiel mit Hilfe von Weidenrinde, da dieser Baum am Wasser wächst und dessen Eigenschaften angenommen hat...«
    Sie hörten zu; ihnen schwindelte. Es gab also ein anderes Wissen als das aus den Heiligen Büchern.
    »Aber er verwandelte auch mein Fleisch zu Stein. Wenn man alle Gesetze kennt, wird man gleichgültig. Und, Brüder, ich wollte nicht in Stein verwandelt werden. Kein Glauben an eine Idee, nein! Ich bin fleischlich und will es bleiben, und ich will mich nicht in eine dieser tönenden Mumien verwandeln, zu denen manche Einsiedler werden. Ich...« Er schüttelte den Kopf und vergrub die Finger in seinem grauen Haar. Seine Gesten waren wirr, und seine Stimme wurde fast unhörbar. Verließ ihn der Verstand? »Vielleicht könnt ihr mir nicht folgen... Ohne Herz und ohne Fleisch ähnelt der Geist jenen Staubwirbeln, die sich an windigen Tagen in der Wüste erheben und bei denen man sich fragt, ob ein böser Zauber ihnen nicht bald Beine, Arme, einen Kopf und eine Stimme gibt... Ideen kommen und gehen, ohne Spuren zu hinterlassen, wenn sie nicht im Blut, in den Eingeweiden, im Schoß und den dunkelsten Regionen der Lenden verwurzelt sind... Ihr Glanz blendet wie Schuppen auf dem Meer in der Sonne, und dann sterben sie mit den Wellen und der Nacht... Sie sind wie jene Huren, mit denen man nur eine Nacht verbringt... Apollonios schüttete Ideen aus wie aus einem Füllhorn, und er berauschte sich an ihnen und berauschte andere damit. Wenn ich wieder nüchtern war, hatte ich Hunger nach etwas anderem. Etwas anderes«, wiederholte Thomas mit heiserer Stimme. »Apollonios«, fuhr er nach einer Weile fort, »hat mir jedoch eine Vorstellung nähergebracht, die ich mir gemerkt habe: Alles, was existiert, ist in zwei Bereiche geteilt, den Geist und die Materie. Den Meistern folgend, die ihn geprägt haben, nahm er an — und hier bin ich nicht mehr mit ihm einverstanden — , daß die Materie schlecht und der Zerstörung geweiht ist, während der Geist gut und der Ewigkeit gewidmet ist. Er nahm auch an, daß über dem Gott der Materie und dem Gott des Geistes ein höherer Gott herrsche, den er den Großen Geist oder den Höchsten Geist des Universums nannte. Ja, es gibt zwei Bereiche: den ewigen Geist und die flüchtige Materie, aber ich glaube nicht, nein, ich spüre nicht, daß alle Materie schlecht und aller Geist gut ist. Was ihr, Simon und Andreas, bei unserem ersten Gespräch nicht begriffen habt, war das Rätsel, das Jesus für mich gelöst hat. Ihm war das Wissen angeboren, daß das Korn nicht schlecht ist, obwohl es Materie darstellt, und daß der nicht materialisierte Teufel in der Nacht böse Einflüsterungen in unsere Ohren haucht. Bis dahin verachtete ich die Materie und die Irrungen des Fleisches, aber Jesus hat mich anderes gelehrt.« Er ließ den Blick über seine Zuhörer schweifen.
    »Jesus hat dich gelehrt, die Irrungen des Fleisches nicht zu verachten?« fragte Simon stirnrunzelnd.
    »Ja«, meinte Thomas provozierend. »Die einzige Sünde ist der Starrsinn. Was ihr Sünde nennt, sind das Stroh und der Mist, der das Korn wachsen läßt. Ein Mensch ohne Sünde ist überheblich. Habt Mitleid mit dem Sünder, aber liebt ihn! Seine Sünden sind der Boden, auf dem die Blumen seiner Tugend blühen.«
    »Auf alle Fälle«, meinte Simon, »ist Jesus ohne Sünde.«
    »Ich habe ihn in Antiochia getroffen, habe ich euch erzählt. Und er ist auch nur ein Mensch«, erwiderte Thomas rätselhaft.
    »Was willst du damit sagen?« fragte Simon.
    »In Antiochia war er auch ein Sünder«, sagte Thomas langsam und sah Simon in die Augen.
    »Unerträglich!« schrie Simon. »Das ist unerträglich!«
    Und Andreas und Philippus riefen fassungslos: »Willst du damit zu verstehen geben, daß wir einem Sünder folgen?«
    »Ist es nicht so?« fuhr Thomas in herausforderndem Ton fort. »Folgst du ihm nicht, Simon? Folgst du nicht einem Mann, der, wie er selber gestanden hat, zum Beispiel Schweinefleisch und Samariterspeise aß?« Als das Echo seiner Worte verklungen war, sagte er: »Du, Simon, bist voller Hochmut, wie ich schon sagte. Du hast nie

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